und solch harmlosen, angeblich Politischen, gab es bei der Gestapo noch eine ganz besondere Kategorie von Gefangenen, die Opfer der ,, Rassen­ gesetze ". Während die NKWD Abertausende von Unschuldigen als so­genannte Konterrevolutionäre, Spione und Terroristen verhaftete und zur Sklavenarbeit nach Sibirien verschleppte, füllte die Gestapo ihre Konzentrationslager mit Juden, Zigeunern, mit ,, Rasseschändern" und später mit Menschen aus allen besetzten Ländern. Nur sparte sich die Gestapo bei diesen Unschuldigen jegliches Anklagematerial.

Mehrere Wochen verbrachte ich in Zelle 17 zusammen mit Frau Kroch. Sie war eine Jüdin aus Leipzig , die man verhaftet hatte, als sie über die holländische Grenze gehen wollte, um ihren vier Kindern und dem Mann ins Ausland zu folgen. Sie hatte ein ruhiges, mütterliches Gesicht, und ohne Bitterkeit sagte sie: Ein Glück, daß ich wenigstens meine Familie in Sicherheit weiß. Ich blieb solange in unserem Haus in Leipzig , damit sie unbemerkt verschwinden konnte." Wir legten beide ,, Patience" mit den Karten, die mir meine Schwester gebracht hatte, und wenn Frau Kroch von ihren Kindern erzählte, strahlten ihre wunder­schönen Augen. In Ravensbrück sahen wir uns wieder. Man hatte ihr die Haare geschoren, und sie marschierte barfuß in Reih und Glied. Ich ver­gesse nie ihren schmerzlich traurigen Blick, als wir uns begrüßten. Sie starb 1941 im Gas.

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In den ersten Monaten meiner Haft im Alex schleppte mich die Gestapo von einem Verhör zum anderen. Wieviel ,, Sachbearbeitern" man mich vorgeführt hat, habe ich schon vergessen. Alle bemühten sich, Be­weise zu erbringen, daß ich eine GPU- Agentin oder im Auftrage der Komintern nach Deutschland geschickt worden sei. Immer wieder transportierte man mich in die Zentralstelle der Gestapo , in die Prinz­Albrecht- Straße". Während der Verhöre posaunten durchs Radio die Sondermeldungen. Dann stürzte der verhörende Gestapobeamte an die riesige Landkarte Europas , die in jedem Zimmer hing und auf der mit Fähnchen die Front abgesteckt war und verfolgte berauscht die Blitzsiege Hitlers . Nur das brachte mich schier zur Verzweiflung. Ansonst war mein Schicksal sowieso besiegelt: entweder Zuchthaus oder Konzentrations­lager. Aber was würde aus Europa werden? Würde es Hitler wirklich gelingen, unter dem Schutze Stalins den Westen zu überrennen?

Eine Zeitlang kam ich in Einzelhaft. Auf die gerillten, undurch­sichtigen Fensterscheiben der kleinen Zelle schien die Sonne, und bei dem Glitzern und Blinken träumte ich von Sommer und Schwimmen, von Wiesen und Buchenwäldern. Es war schon Ende Mai geworden, und ich hatte noch kein grünes Blatt gesehen.

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