den ins Polizeigefängnis Alexanderplatz Eingelieferten sprudelte meistens nach einer halben Stunde schon der wahre Sachverhalt, der zur Verhaf­tung geführt hatte, heraus, aber wenn alles gesagt war, folgte regelmäßig die ängstliche Bitte: Aber verraten Sie mich ja nicht bei der Gestapo !"

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Die kleine runde Frau Globig hatte einen Verkaufsstand für Innereien in der Zentralmarkthalle am Alexanderplatz , sie tauschte ver­botenerweise mit einer anderen, die Obst und Südfrüchte handelte, ,, manchmal eine Leber, manchmal eine Niere gegen Apfelsinen". Das war von einer anderen Marktfrau beobachtet und denunziert worden. Wenn mein Mann hört, daß ich bei der Gestapo bin und heute nicht nach Hause komme, wird er vor Schreck sterben", wimmerte sie. ,, So eine Schande kann er nicht überleben! Ach, und ich hatte schon soviel Unglück im letzten Jahr. Mein Lorchen ist mir gestorben, wo mein ganzes Herz dran hing." Und ein neuer Tränenstrom unterbrach ihre Klagen. ,, War das ihre Tochter?" fragte eine mitleidige Zellengenossin. ,, Aber nein doch! Mein Wellensittich! Wenn Sie den gekannt hätten! Zu Hause ging er mir den ganzen Tag nicht von der Schulter. Und alles konnte er sprechen. So ein kluges Tier gibt es überhaupt nicht wieder!" Sie zog ein goldenes Medaillon aus dem Halsausschnitt, öffnete es und zeigte unter Glas irgendein verhutzeltes, dunkles Klümpchen: ,, Das ist Lorchens Herz. Ich hab mir's präparieren lassen." Nur mit Mühe konnte ich das Lachen unterdrücken. Aber der Schmerz dieser Frau war so echt, und während sie alle Geschichten von Lorchen erzählte, vergaß sie beinahe ihr Unglück. Dann aber erinnerte sie sich an den wartenden Mann und der Jammer begann von neuem. Sie war zehn Tage in unserer Zelle und wurde dann entlassen.

Einige Zeit später bescherte uns die Gestapo wieder eine Markt­frau. Und so nebenbei erkundigte ich mich nach Frau Globig, Innereien. ,, Denkense bloß, was der Frau passieren mußte! Stirbt der nich der Mann vor Schreck, weil se zur Jestapo jekommen ist! Die is wirklich zu bedauern!"

Mit Ausnahme der Schwerpolitischen, wie die Frauen von Adlershof oder Lisa, rechneten fast alle im Alex Eingelieferten mit möglicher Frei­lassung. So etwas gab es in Butirki eigentlich nie. Da jubelten die Frauen, als sie hörten, daß der neue Volkskommissar Beria milde Urteile von ,, nur" fünf Jahren erlasse. Ebenso kam in Butirki niemand auf den Gedanken, sich einen Rechtsanwalt nehmen zu wollen, was bei den Gestapo - Verhafteten das erste war, wobei es jedesmal größte Empörung auslöste, wenn sie erfuhren, daß es bei der Gestapo zwecklos sei, einen Verteidiger zu verlangen.

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Außer den Häftlingen, die wirkliche Gegner des Naziregimes waren