,, In meinen Haushalt kam täglich als Stundenhilfe eine Frau, die mir von der Arbeitsvermittlung geschickt worden war. Sie wissen ja, wie schwer es jetzt mit den Dienstboten ist. Von Anfang an gefiel mir dieser Mensch nicht. Als sie mir dann mitteilte, daß sie in der NS- Frauenschaft . sei, wurde sie mir noch unsympathischer. Die Arbeit verrichtete sie, als ob es eine Gnade wäre, alles mußte ich ihr zwei-, dreimal sagen. Ende der vorigen Woche hatte sie wieder vergessen, Zeitungspapier als Unterlage in den Kohlenkasten zu tun. Da habe ich ihr befohlen, die Kohlen noch einmal herauszunehmen. Und als sie damit fertig war, gab ich ihr den, Völkischen Beobachter' als Unterlage. Nun waren aber gerade in dieser Nummer auf der letzten Seite viele Fotos des Führers und des Reichsmarschalls Göring . Da fragte mich die listige Frauensperson: Frau von Gehrke', sagt sie ,, soll ich denn die Zeitung mit den Bildern vom Führer in den Kohlenkasten legen?', und ohne viel zu überlegen, erwiderte ich:, Aber natürlich, die eignet sich doch besonders gut dazu!' Und dann hat sie mich bei der Gestapo denunziert. Ist denn sowas menschenmöglich?!"
Frau von Gehrke blieb vierzehn Tage in Zelle 17 und quälte uns weidlich. Da sie aber einflußreiche Verwandte hatte, entließ die Gestapo sie.
Viel ernster stand es aber um solche, die von der Gestapo wegen Abhören ausländischer Radiostationen verhaftet worden waren. Fast in allen Fällen hatten sie nicht den Mund halten können und die Radionachrichten ,, einer sehr guten Bekannten unter dem Siegel der Verschwiegenheit" mitgeteilt. Sie wurden denunziert und häufig vor der Verhaftung schon eine ganze Zeit von der Gestapo beobachtet. 1940 gab es für dieses Vergehen bereits Zuchthaus, und später wurden auch Todesurteile für ,, Verbreitung ausländischer Radionachrichten" gefällt. Als politisch galten auch Verbrechen" wie der Einkauf oder Verkauf von Wäsche, Kleidern und Strümpfen ohne ,, Punkte". Da verging keine Woche, in der nicht solche Verbrecherinnen eingeliefert und nach Moabit weiterbefördert wurden.
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Doch an einen tragikomischen Fall erinnere ich mich besonders. Kam da eine wohlgenährte kleine Frau tränenüberströmt in unsere Zelle. Sie konnte kaum japsen, so eng war sie in ein Korsett eingeklemmt, und der Busen stieß fast an das üppige Doppelkinn. Aus ihren Kleidern wehte ein nahrhafter Duft nach Fleischerladen, und als sie ihren ersten Schmerz ausgeweint, wurde sie schnell mitteilsam. Was für ein Unterschied zwischen deutschen Verhafteten und denen im Moskauer Gefängnis Butirki! Ganz abgesehen davon, daß die Opfer der NKWD sehr oft gar nicht wußten, weshalb man sie verhaftet hatte, gehörten bei den russischen Frauen Wochen näherer Zellenbekanntschaft dazu, um etwas über den Grund ihrer Verhaftung oder die Anklage zu erfahren. Bei
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