und Aburteilung genügte der Verdacht, eine politisch feindliche Handlung, sei es nun Agitation oder Organisation, begangen zu haben, um einen Menschen ohne gerichtlichen Beweis auf Jahre seiner Freiheit zu berauben.
Und welcher politischen Verbrechen verdächtigte nun die Gestapo diese Frauen? Ein Zuzug wurde von der Wachtmeisterin mit folgenden Worten in die Zelle 17 gebracht:„ Nu berujen Se sich man, Frau von Gehrke! Hier sind Se wenichstens nich mehr allein. Se müssen doch bedenken, daß wa nich nur für Sie da sind!"
Da stand Frau von Gehrke, eine Fünfzigerin, in gravitätischer Haltung. Sie trug ihr leicht ergrautes Haar in einem griechischen Knoten, und von ihrem bastfarbenen Kleid mit rundem Ausschnitt, der ihren üppigen Nacken sehen ließ, hatte man ihr den Gürtel abgenommen, damit sie sich nicht daran aufhänge. So glich das Gewand einem wallenden Nachthemd. Frau von Gehrke war noch keine fünf Minuten in der Zelle, als der erste Ausbruch erfolgte: ,, Was denken sich diese Kerle von der Gestapo ! Sind wir denn denen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert?! Kann man nirgends mehr sein Recht bekommen?" Ihre Sprache war klassisches Potsdam . Mit rotangelaufenem Hals ließ sie sich erschöpft auf einen Schemel sinken. Aber nur einige Atemzüge, und schon ging es weiter: ,, Dieses Weib hat man mir sicher als Spitzel ins Haus geschickt! In seinen eigenen vier Wänden darf man nicht mehr tun und lassen, was man will!" Dies schrie sie alles in die Zelle, ohne die zwei Anwesenden, Lisa und mich, überhaupt angesehen zu haben. Dann aber wandte sie sich in verändertem, sehr förmlichem Ton an uns: ,, Verzeihen Sie bitte, aber meine Nerven sind mit mir durchgegangen! Darf ich mich vorstellen: Luise von Gehrke. Denken Sie sich doch bloß, was mir widerfahren ist! Man bestellt mich zur Geheimen Staatspolizei, ich habe keine Ahnung, was die Herren von mir wünschen und da erklärt mir so ein Rüpel, ich hätte Hitler und andere Mitglieder der Reichsregierung beleidigt! Eine reine Erfindung ist das! Aber damit nicht genug, dann sagte er:, Wir müssen Sie bis morgen hier behalten, bis sich alles aufgeklärt hat!" Und stellen Sie sich vor, so wie ich von der Straße komme, ohne Toilettesachen, in diesem hellen Kleid, ohne alles für die Nacht, sperrt man mich in einen winzigen Raum. Verhaftet einen Menschen, der nichts verbrochen hat! Alle meine Proteste waren vergebens. In was für Zeiten leben wir denn?"
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Wir beide murmelten etwas Tröstendes: ,, Sie kommen bestimmt wieder raus. Regen Sie sich man nicht so auf."
Da begann Frau von Gehrke herzzerbrechend zu weinen. Schluchzend und schnaubend, aber mit sehr gedämpfter Stimme und der ständigen Bitte ,, ja mit niemandem darüber zu sprechen", erzählte sie uns, nachdem sie kaum eine Viertelstunde in der Zelle war, in aller Ausführlichkeit, was sie in diese entsetzliche Lage gebracht habe.
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