SS- Mann, der in der Männerabteilung Dienst hatte, Besuchserlaubnis für Ehemänner gegeben habe, deren Frauen sich unter den Ausgelieferten befänden. Nun gab es aber nur ein Ehepaar, das sich wiedergefunden hatte, doch bei der Nachfrage des SS - Mannes meldeten sich viele Männer und be­haupteten, daß auch ihre Frauen sich unter den Ausgelieferten befänden. Sie gaben irgendeinen Namen an. Der SS- Mann durchschaute natürlich das Spiel, worauf er eine Bedingung stellte: ,, Ihr müßt sofort beim Öffnen der Frauenzelle eure Ehefrau erkennen, sie umarmen und küssen. Wenn das einer nicht schafft, so kann er was erleben!" Von dieser Ab­machung hatten wir Frauen aber keine Ahnung. Am nächsten Nachmittag schloß man unsere Zellentür auf, und ein Schwarm von Männern stürmte herein, jeder ergriff irgendeine Frau, fiel ihr um den Hals und flüsterte: ,, Sage ja, daß du meine Frau bist! Sonst passiert was!" So gut und herz­lich haben wir selten gelacht, und der SS- Mann stand dabei und wieherte vor Vergnügen. Ja, so etwas war im Lubliner Gefängnis noch möglich. Nach Sibirien und Butirki konnte man beinahe sagen: ,, Wir fühlten uns wie zu Hause." Aber es sollte noch anders kommen.

Am Ende der zweiten Woche holte man in kurzer Aufeinanderfolge alle Frauen zur Gestapo . Nur mich nicht. Sie kamen zurück mit einem Schein, auf dem stand: ,, X hat sich in ihren Heimatort zu begeben und sich dort binnen zwei Tagen bei der Gestapo zu melden." Dieser Schein galt als Fahrkarte. Frau Fekete, die Frau eines Arztes, war ungarische Jüdin. Sie wurde ins Lubliner Ghetto entlassen. Da nahmen alle von mir Abschied, und ich blieb allein in der Zelle zurück, erbärmlich traurig und verlassen. Meine einzige Hoffnung war, daß man mich noch so lange in Lublin halten würde, bis der nächste Transport aus Moskau käme und mit ihm Karola Neher , Zenzl Mühsam und alle anderen Freunde.

Aber am nächsten Tage schon hieß es: ,, Packen Sie Ihre Sachen! Sie gehen auf Transport!"

Und wieder stand ich innen am Gefängnistor in dumpfer Ungewiß­heit und Angst. Da hörte ich das Trappeln vieler Schritte, und um die Ecke bog eine Kolonne von vierzig Männern, unter ihnen viele Bekannte, mit denen wir zusammen von Moskau aus auf Transport gegangen waren. Von den 150 Ausgelieferten hatte man uns einundvierzig verhaftet, und wir sollten unter Bewachung zum Polizeipräsidium in Berlin gebracht werden. Da bekamen wir schon einen anderen Ton zu hören als bisher: ,, Stillgestanden! Schnauze halten! Zu fünfen rechts schwenkt, marsch!" Und wieder ging es durch Lublin zum Bahnhof, wo ein D- Zug- Waggon mit der Aufschrift ,, Krankentransport" für uns bereit stand. Die Roten­Kreuz- Damen auf den verschiedenen Bahnhöfen hatten keine Ahnung, was für ,, Kranke" wir seien, und sie traktierten uns freundlich mit warmem Muckefuck. Unsere Begleitmannschaft bestand aus Gestapo­männern, die ein Extraabteil II. Klasse hatten und abwechselnd dort

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