Sie glauben doch wohl selbst nicht, daß die Russen Sie, als Frau von Heinz Neumann , nach Deutschland ausliefern würden?" Dann begann ein ausführliches Verhör. Nach kurzer Zeit bemerkte ich, daß irgend jemand aus dem Transport mich verraten haben mußte, denn man fragte plötz­lich nach Thomas M. und welche Gespräche ich mit ihm geführt hätte. Später, beim Weitertransport nach Berlin , teilten mir die Männer mit, daß der Hamburger, das ehemalige Mitglied des Roten Seeleutever­bandes, alles, was er während des Transports von Moskau bis Lublin ge­hört hatte, schon in der ersten halben Stunde in Lublin der Gestapo denunzierte.

Selbstverständlich versuchte ich während dieses ersten Verhörs so­viel wie irgend möglich zu verschweigen. Als mich der Gestapomann fragte: ,, Haben Sie jetzt alles ausgesagt?" und ich nickte, drehte sich der Dicke auf seinem Sessel zu mir herum: ,, Na, und Ihr Schwesterchen Babett? Was haben Sie denn bei der in Paris gemacht?" Er stellte so detaillierte Fragen an mich, daß man den Eindruck bekommen konnte, er sei im Verlag meiner Schwester ein- und ausgegangen. Er nannte alle Mitarbeiter prinzipiell mit Vornamen. Von der Telefonistin sprach er als ,, Engelchen", ihr Familienname war ,, Engel". Über den Chauffeur ,, Emil" wollte er unbedingt etwas wissen.

Nach diesem ersten Verhör war ich überzeugt, vor ein Gericht ge­stellt zu werden und begann mich innerlich auf eine Untersuchungshaft bei der Gestapo vorzubereiten.

Im Lubliner Gefängnis herrschte eine sonderbare Atmosphäre, die bedingt war durch das Nebeneinander von polnischem Gefängnispersonal und Gestapo - Obrigkeit. Für Häftlinge und Aufseherinnen gab es den gleichen Feind: die Gestapo . Eine polnische Ärztin, die im Gefängnis­ambulatorium tätig war, schmuggelte z. B. Briefe für Männer- und Frauenhäftlinge. Die Aufseherinnen ließen oft lange Zeit die Zellen un­abgeschlossen, was eine rege Unterhaltung von Zelle zu Zelle ermög­lichte. Wir erfuhren von Erschießungen, von waghalsiger Flucht einiger polnischer Häftlinge über die Dächer des Gefängnisses und von über hundert polnischen Priestern, die in der Männerabteilung in Haft saßen. Fast jede Nacht hörten wir durch unser Zellenfenster das Rattern von Motorrädern, das Geräusch an- und abfahrender Lastautos und gebrüllte deutsche Kommandos. Eingeweihte berichteten uns im Gefängniskorridor, daß es sich dabei um Razzien unter der polnischen und jüdischen Be­völkerung handle, und täglich wurden mehr und mehr Verhaftete ein­geliefert.

Wir lernten eine Frau aus einer Nachbarzelle kennen, in der sie mit ihrer Tochter und neun anderen Frauen zusammen lag. Sie wußte nicht, woher wir kamen und was mit uns los war. Mit strahlenden Augen begann sie zu erzählen, daß sie hoffe, in den nächsten Tagen über die russische Grenze zu kommen, und daß dann die Leiden endlich ein Ende

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