zurückkehrende Politische?" Viele Männer rechneten damit, sofort zur Wehrmacht eingezogen zu werden. Ganz gleich, was kommen mag, besser als russisches Zuchthaus, besser als Sibirien ist es sicher", so war die Stimmung, als man uns nach ungefähr einer Woche in einen Per­sonenwagen verlud und wir in Richtung Warschau abfuhren. Der Zug war verdunkelt und ungeheizt, auch die Bahnhöfe ohne Licht. Auf den Haltestellen versuchte die polnische Zivilbevölkerung in unsere Abteile zu steigen, weil sie nicht überfüllt waren. Mit dem Gebrüll: ,, Dreckiges Polenpack, macht, daß ihr rauskommt!" stieß unsere SS - Bewachung sie von den Trittbrettern. Betty Olberg und ich saßen mit untergezogenen Beinen, so wie wir das durch das Leben auf den Brettern gewohnt waren, auf der Bank des Eisenbahnwaggons, und alle Gespräche drehten sich um das Ziel dieser Reise. Ob sie uns gleich bis Berlin bringen?" , Vielleicht erlauben sie uns, an die Angehörigen eine Nachricht zu schicken?"

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Mit dem ungarischen Emigranten hatte ich in Bjalas nur wenige Worte gewechselt. Er machte sich keine Illusionen über sein Schicksal. In der Dunkelheit des Zuges wagte er das erstemal eine etwas längere Unterhaltung: Ich bin ungarischer Staatsbürger. Es ist möglich, daß mich die Gestapo weiter an die Ungarn ausliefert. Von dort bin ich nach der ungarischen Räterepublik emigriert. Was kann mich schon in Deutsch­ land erwarten und was in Ungarn ? Solltest du in die Freiheit kommen, gib bitte den Verwandten meiner Frau, sie wohnen im Ruhrgebiet , eine Nachricht."

Am nächsten Morgen hielt unser Zug in Lublin . ,, Aussteigen! Zu fünfen antreten!" Die Männer faßten Betty Olberg unter. Es herrschten wohl vierzig Grad Kälte an diesem Tag. Frierend und übermüdet marschierten wir durch die Stadt, in der ich die ersten durch Bomben zerstörten Häuser sah. Der trostlose Eindruck nahm zu, als wir uns dem Ghetto näherten. Aus Kellerfenstern und Torbögen blickten die Menschen ängstlich und neugierig auf unsere Kolonne. Und mitten im Ghetto ragte ein burgähnliches, großes, quadratisches Gebäude auf, dessen Giebel überm Eingang mit zwei weithin sichtbaren Beilen geschmückt war: das Gefängnis von Lublin , das uns die nächsten vierzehn Tage beherbergen sollte.

Nun befanden wir uns also in den Händen der Gestapo . Noch auf dem Korridor gab ein aalglatter Zivilist jedem von uns ein Stück Papier mit der Aufforderung, wahrheitsgemäß niederzuschreiben: Name, Ge­burtsdaten, Eintritt in die KPD , in ihr bekleidete Funktionen, Jahr der Emigration, seit wann in Rußland , die dortige Tätigkeit, Datum der Ver­haftung durch die NKWD und Urteil.

Die Zettel wurden abgegeben. Betty Olberg und ich kamen in die Frauenabteilung des Gefängnisses, in eine Zelle, wo sechs Frauen uns

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