Wirtschaft und Arbeitsgesetzgebung. Ja, und so gut wie alle waren vom deutschen Sieg und einer langen Dauer der Naziherrschaft überzeugt. Wahrhaft schnell stellten sie sich auf den Boden der gegebenen Tatsachen! Sie waren verzweifelt, sie hatten gelitten, man hatte sie betrogen, aber ist das eine Entschuldigung für eine solche Haltung? Und da hatten. wir noch in Moskau in der Auslieferungszelle Wunder was von„, unseren Männern" geglaubt und sie mit Tugenden, wie Überlegenheit und Standhaftigkeit, ausgestattet.
Auf dem Holzstoß am Ofen saß der Genosse aus Sachsen , daneben lehnte ein Schutzbündler. Es ging schon auf Mitternacht, aber immer noch konnten sie keine Ruhe finden. Kaum drehte sich Betty oder ich auf die Was Seite, um zu schlafen, da zog schon einer an der Decke herum. willst du denn?" ,, Du warst nicht richtig zugedeckt." Oder die Hitze ließ uns nicht ruhig liegen, und schon stand einer am Fußende der Pritsche: Willst du vielleicht eine Zigarette rauchen?"
99
-
92
Am nächsten Tag heizte man unseren Raum nicht weniger. Ich trug einen alten wollenen Pullover und einen ebensolchen Rock. Die Hitze wurde unerträglich. Unter meinen Lumpen befand sich ein gelber Leinensarafan mit bunter Kreuzstichstickerei, den man mir zufällig in Sibirien nicht gestohlen hatte. Ich ging auf den Korridor, zog den Sarafan an und kehrte in die Zelle zurück. Ich glaube kaum, daß der Toilette eines Pariser Modeschöpfers je soviel Beifall gezollt worden ist wie diesem Leinensarafan. ,, Wie wunderschön gelb dein Kleid ist! So eins hatte meine Schwester auch einmal." ,, Richtiger Kreuzstich! Menschenskind, war das eine Arbeit!" ,, So ein schönes Kleid habe ich noch nie gesehen!" So ging es von allen Seiten. Diese Farben, diese herrlichen Farben!" Einige Jahre Zuchthaus, und bunter Kreuzstich rührte die Männer zu Tränen.
-
-
99
Ich ging mit Thomas M. auf dem Gefängniskorridor unter dem großen goldenen Kreuz hin und her. Von ihm erfuhr ich die ersten glaubwürdigen Nachrichten über meinen Mann. Ein Engländer, Hamilton. Gold, war in Solowki der Zellenkamerad von Thomas M. gewesen und hatte ihm von Heinz Neumann erzählt, mit dem er im Sommer 1938 in einer gemeinsamen Zelle im politischen Untersuchungsgefängnis Butirki gesessen habe. Heinz Neumann sei damals, also anderthalb Jahre nach seiner Verhaftung, noch ungebrochen gewesen und hatte kein Protokoll unterschrieben. Die andere Mitteilung kam über einen Schweizer Ingenieur, der, wenn ich mich recht erinnere, Meier hieß. Auch er war, bevor er zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, in Butirki mit Heinz Neumann zusammen in einer Zelle gewesen. Diese Nachrichten waren glaubwürdig, im Gegensatz zu den widerspruchsvollen Geschichten, die mir von vielen anderen Männern unseres Transportes erzählt wurden. Da war er entweder zum Tode verurteilt worden oder zu lebensläng
158


