kam selbstverständlich Betty. Alle bemühten sich um sie und waren sehr besorgt. Daneben lag ich, und dann eröffnete sich ein Problem: wer von den Männern wird neben den Frauen schlafen? Ein schlagfertiger Sachse entschied: ,, Der garantiert impotenteste!" und ausgewählt wurde unter großem Gelächter Karl, ein netter alter Arbeiter, der die Sache mit Humor nahm.

Unsere Zelle hatte eine besondere Vergünstigung: die Zellentür wurde nicht abgeschlossen. Wir Frauen konnten doch nicht vor den Männern auf den Kübel gehen und umgekehrt, meinte der Gefängnis­vorsteher. So spazierten wir, wann immer wir Lust hatten, auf dem Korridor herum. Die Tür zum Treppenflur war natürlich abgesperrt.

Am zweiten Tag schon konnte ich der Versuchung nicht widerstehen und blickte von außen durch den ,, Spion" in die verschiedenen Zellen. In der einen liefen Männer, die Hände unter die Achselhöhlen gesteckt, hin und her, hin und her. Die Zelle war ungeheizt, die Armen konnten nicht zahlen und besaßen auch keine Angehörigen in Polen , denn alle waren chinesische Straßenhändler, die die Deutschen festgenommen und hier eingesperrt hatten. Ganz am Ende des Ganges dagegen sah ich durch den ,, Spion" in einen gut möblierten Raum. Ein wohlgekleideter Herr saß am Tisch. Er hatte seinen Diener bei sich, und zum Mittagsmahl bekam er Wein serviert. Es war ein polnischer Aristokrat, zu dem jeden Tag der Pope zu einer Gebetsstunde kam. In diesem Gefängnis ging es überhaupt sehr christlich zu. Unter einem großen goldenen Kreuz, das von der Decke bis zum Boden reichte und an der Schmalseite des Ganges ange­bracht war, fand Sonntags eine Andacht statt. Da knieten sie dann alle gemeinsam, die Hungernden und die Satten, die Frierenden und der, der Wein zur Mahlzeit bekam.

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Aber zurück zu unserer Gemeinschaftszelle". Es ist der erste Abend. Wir teilten redlich unsere Vorräte, und angeregt durch die Wärme, begann man zu erzählen. Den meisten Männern war es viel schlimmer ergangen als mir. Bei den Verhören der NKWD hatte man sie geprügelt, oft bis zur Bewußtlosigkeit, wenn sie sich weigerten, er­fundene Verbrechen einzugestehen. Einer berichtete von seinem Freund, den man so lange gequält hat, bis er sich aus dem Fenster stürzte. Einige kamen aus dem Zuchthaus Solowki , einem alten Kloster auf einer Eis­meerinsel. Die meisten waren zu zehn oder fünfzehn Jahren verurteilt worden. Von den Männern waren nur wenige nicht Mitglieder der Kom­munistischen Partei Deutschlands oder Österreichs gewesen, doch aus allen waren erbitterte Hasser des Stalin 'schen Regimes geworden. Das konnte ich nur zu gut verstehen. Aber schon am ersten Abend wollte ich meinen Ohren nicht trauen, als man das Thema Nationalsozialismus an­schnitt. Viele begannen positive Seiten am Hitler- Regime zu entdecken, Fortschrittliches in dessen Staatsführung und sozialistische Züge in der

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