sah ich das erste Mal so ganz in der Nähe die SS - Mütze mit Totenkopf und gekreuzten Knochen und eine richtige SS - Visage darunter. ,, Setzen Sie sich!" forderte er uns im Befehlston auf. Und dann an mich gewandt: Waren die russischen Einheiten, die Sie auf der anderen Seite der Brücke sahen, Eliteregimenter oder nicht?"- ,, Ich habe überhaupt keine Soldaten gesehen", antwortete ich.
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In einem Güterwagen brachte man uns nach Bialas, einer kleinen polnischen Provinzstadt. Dort blieben wir die ersten Stunden unter SSBewachung in einer Feldküche. Ein freundlicher deutscher Soldatenkoch heizte seine Gulaschkanone, um eine Maggisuppe für uns zu fabrizieren. Wir halfen ihm dabei und waren glücklich über die Ablenkung. An den Holztischen fingen die ersten Gespräche wieder an. Einer fragte mich in unverfälschtem Berlinisch, aber leise, damit es kein anderer hörte: ,, Sach mal, bist du nicht Trude Th.?" ,, Nein, du irrst dich, ich bin ihre Schwester!" ,, Aber 1925 biste doch mal in Berlin auf ner Versammlung von der IAH gewesen?" Er hatte recht. Es war Willi B., ein altes Mitglied der KPD . Noch einen Bekannten traf ich im Transport, einen Wiener Genossen Thomas M., der viele Jahre im westeuropäischen Büro gearbeitet und Beiträge über Österreich in der„, Internationalen PresseKorrespondenz" veröffentlicht hatte.
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,, Zu fünfen antreten!" Zwei Männer faßten Betty Olberg unter, und wir marschierten durch die kleine, saubere Stadt, wo man an einigen Häusern Kugeleinschläge sah, Spuren der Straßenkämpfe. An einer schmalen Pforte zog der SS- Mann den Glockenstrang, und auf das friedliche Gebimmel hin wurden wir in das Gefängnis von Bialas eingelassen. Das war ein Barockbau, der sicher einst für einen anderen Zweck errichtet worden war. Ein Mann in Zivil, wohl der Gefängnisvorsteher, meinte: Was machen wir aber mit den beiden Frauen? Die kann ich doch nicht zu den kriminellen Weibern stecken! Am besten ist, wenn sie mit ihren Männern in eine gemeinsame Zelle gehen.“ Und so bekamen wir alle zusammen einen großen Raum mit richtigen Fenstern, in dem es so kalt war, daß das Eis an den Wänden klebte. In diesem merkwürdigen Gefängnis wurden die Häftlinge weder verpflegt, noch sorgte man für Heizung. Wer Geld hatte, konnte sich Essen und Heizung kaufen lassen, wer arm war, mußte hungern und frieren. Viele der dort Eingesperrten hatten Angehörige draußen, die am Gefängnistor Essen für sie abgaben. Wir aber besaßen ein Zaubermittel: Zigaretten. Schon nach einer Stunde sprühte der hübsche, weiße Kachelofen in unserer Zelle vor Hitze. Ein halbwüchsiger Junge, der die Botengänge in diesem Gefängnis erledigte, schleppte das Holz armweise herbei.
An der einen Wand unserer Zelle war eine zusammenhängende Holzpritsche für ungefähr fünfzehn Menschen aufgeschlagen, für die anderen lag Stroh auf dem Fußboden. Den wärmsten Platz am Ofen be
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» Pałac Radziwillow


