in diesen Wochen vergessen, daß wir uns in Händen der NKWD be­fanden! Wir fröstelten in der großen Zelle.

Ich saß auf dem Rand von Karolas Bett: ,, Für mich ist alles ver­loren", klagte sie. ,, Nachdem ich dieses Angebot abgeschlagen habe, werden sie mich nie mehr hinauslassen, mich unmöglich ins Ausland schicken." Ich versuchte sie zu trösten: ,, Weißt du, Karola, eins mußt du bedenken, man hat dich mit uns zusammen in eine Zelle gebracht, also wirst du auch das gleiche Schicksal wie wir haben. Sonst hätte man dich doch in Einzelhaft gelassen. Bist du nicht auch dieser Meinung?" Dann riefen wir uns noch einmal alle Fragen der ,, Kommission" ins Gedächtnis zurück. ,, Weshalb fragten sie nach Verwandten im Ausland? Und dann anschließend nach Angehörigen in Deutschland ? Was soll das bedeuten?" Nach und nach beruhigte sich Karola. Der Tageslauf des Gefängnisses unterbrach unser verzweifeltes Grübeln. Da wurde Bettwäsche herein­gereicht, es gab mehrere Decken für jeden, mittags kam unser obligato­risches Goulasch und abends Nudeln mit Fleisch.

Kurz vor der Abend- ,, Oprawka" erinnerte ich mich an das der anderen Zelle gegebene Versprechen: ,, Wir müssen unbedingt eine Nach­richt auf die Kachel schreiben! Aber was nur? Wir wissen ja nicht mehr als vorher! Da bleibt nichts anderes übrig als den anderen das mitzu­teilen und sie zu enttäuschen." Jetzt konzentrierten sich alle Gedanken auf unseren ersten Brief". Wir spitzten ein Stück Seife und überlegten genau den Text der Mitteilung.

Dann standen wir im Waschraum. Eine mußte bei der Tür bleiben, um die Schritte der Aufseherin zu kontrollieren, die andere den ,, Spion" im Auge behalten, Karola als Deckung bei der Kachel stehen und ich schrieb: ,, Waren bei Kommission, wurden nach Verwandten im Ausland und Angehörigen in Deutschland gefragt. Auf Bitte um Auskunft über Schicksal keine Antwort. Fanden Karola. Alle gesund. Antwortet." Die Kachel war eng beschrieben.

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Bei der nächsten ,, Oprawka", als kaum die Waschraumtür abge­schlossen war, stürmten wir an die Wand. Und siehe da! Eine Antwort: Vielen Dank für Mitteilung. Ist gar nichts über Zukunft bekannt? Wo ist Karola? Grüße." Wir säuberten die Kachel, beantworteten die Fragen so gut es ging, und weil uns nichts Wichtiges mehr einfiel, schrieben wir, so wie man das oft in Briefen tut, allerhand Nebensächliches, bis die Kachel voll war. So ging unsere Korrespondenz hin und her, wohl an die fünf Tage. Da ging am sechsten Vormittag die Klappe an der Tür her­unter und das Gesicht des Korpusnoj erschien in der Luke. Mit barscher Stimme kommandierte er: ,, Zellen älteste herkommen!" Karola lief zur Tür. ,, Ihre Zelle hat fortgesetzt im Waschraum Nachrichten in deutscher Sprache an die Wand geschrieben! Sie werden eine schwere Strafe dafür erhalten!" ,, Aber Herr Korpusnoj, Sie irren sich! Wir haben niemals

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