GPU gewesen seien, erwiderte sie mir mit zitternder Stimme: Um Gotteswillen, tue das nicht. Du darfst den Arbeitern nicht ihre Illusionen, nicht ihre letzte Hoffnung rauben!"

Ein Sorgenkind der Zelle war Nina, die Ballettänzerin. Sie war Russin und die Frau eines deutschen Ingenieurs. Sie kam aus dem Zucht­haus, hatte Haare wie ein Igel und hervorquellende, blaßblaue Augen, die auf niemand gerichtet zu sein schienen. ,, Seitdem sie in die Zelle kam, liegt sie nur im Bett. Es ist ein Wunder, daß sie auf den Kübel geht. Manchmal stürzt sie sich aufs Essen und verschlingt drei Portionen, meistens ist sie zu den Mahlzeiten nicht wachzubekommen", erzählten die Frauen. ,, Was mögen sie mit der im Zuchthaus angestellt haben?" Als ich in die Zelle kam, ging das mit der Ballettänzerin schon vierzehn Tage so. Man nahm an, sie sei geistesgestört. Eines Tages aber stand sie auf und begann, zwischen den Bettenreihen, barfuß, in Männerunterhosen und-hemd zu tanzen. Sie erhob sich auf die Fußspitzen und machte die Pirouetten und Sprünge des klassischen russischen Balletts. Ihr Gesicht blieb abwesend wie zuvor. Wir blickten erstaunt auf diese Wandlung und bemerkten gar nicht, daß am ,, Spion" ein Auge hing. Erst als unsere Tänzerin erschöpft ins Bett zurücksank, hörten wir das Scharren vom Deckel des Spions ". Diese Attraktion wiederholte Nina dann täglich, und bald hatten wir heraus, daß es unter den Gefängnisaufseherinnen eine glühende Verehrerin ihrer Kunst gab. Wenn Nina morgens im Bett blieb und diese Aufseherin hatte Dienst, so öffnete sie die Klappe und fragte mit besorgter Stimme: Was fehlt Ihnen? Sind Sie krank? Soll man dem Arzt Bescheid sagen?" Das waren die ersten und einzigen menschlichen Laute, die ich von einer Aufseherin in Butirki gehört habe. Nina lohnte diese Bewunderung und tanzte in Unterhosen den ,, Sterben­den Schwan".

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Jeden vierten Tag rief man drei Frauen mit Sachen aus der Zelle. Sie verschwanden, und keine Nachricht über sie drang mehr zu uns. Alle versprachen, wenn irgend möglich, ein Zeichen zu geben. Aber nichts erfolgte.

Dann kamen zwei ,, Neue" aus einem Lager in Zentralsibirien. Beide Berlinerinnen. Die eine hieß Fischmann und war eine Jüdin, die andere hatte als Stenotypistin in der Komintern gearbeitet. Als ich sie sprechen hörte und ihre Gebärden sah, merkte ich, wie man sich in kaum vierzehn Tagen aus dem sibirischen Konzentrationslager wegleben konnte; es schienen mir bereits Jahre vergangen.

Sie erzählten, sie seien auf ihrem Rücktransport aus dem Lager tage­lang mit dem Schlitten unterwegs gewesen, bis sie die sibirische Eisen­bahn erreichten. In ihrem Transport waren zwei deutsche Männer, Hugo Eberlein und ein anderer, junger Genosse. Hugo Eberlein litt an schwerem Lungenasthma, und der junge Genosse hatte eine gefährliche Wunde am Bein. Später soll Eberlein noch in Auslieferungshaft gestorben sein.

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