Die Verhaftung Zenzl Mühsams erfolgte wahrscheinlich erst nach einer Reihe von kritischen Äußerungen. Sie hatte nicht zu heucheln oder mit ihrer Meinung ängstlich hinter dem Berg zu halten gelernt. Aber sie wußte auch nicht, in welcher Räuberhöhle sie sich befand.
Beim Untersuchungsrichter wurde ihr das Gleiche vorgeworfen wie Karola Neher : sie sei ein trotzkistischer Kurier Wollenbergs. Nach mehreren Monaten Untersuchungshaft wurde sie eines Tages entlassen. Wenn ich mich recht erinnere, stellte man sie im Pyjama auf die Straße. Die Nachricht von ihrer Verhaftung war ins Ausland gedrungen, und ihre Freunde und die Gesinnungsgenossen Erich Mühsams erhoben in der Presse einen entrüsteten Protest. Das dürfte der Grund ihrer Entlassung gewesen sein.
Zenzl wurde zuerst von holländischen Freunden aufgenommen und kehrte dann ins Hotel ,, Nowaja Moskowskaja" zurück. Ein Gedanke nur beseelte sie: fort aus diesem Land! Sie schrieb an ihre Schwester in den USA , die ihr ein amerikanisches Einreisevisum besorgte. Kurz darauf wurde sie zur amerikanischen Botschaft in Moskau bestellt. Während sie noch auf das russische Ausreisevisum wartete, verhaftete sie die NKWD ein zweites Mal und verurteilte sie diesmal nach ganz kurzem Aufenthalt in Butirki durch die ,, Osobje Sowetschanje"( Besondere Kommission) zu acht Jahren Besserungsarbeitslager. Man transportierte sie nach einem Konzentrationslager im europäischen Rußland , wo im Vergleich zu Sibirien erträglichere Zustände herrschten. Die Frauen arbeiteten hauptsächlich in Nähwerkstätten.
Zenzl Mühsam mochte bald sechzig Jahre alt gewesen sein. Sie trug das graue Haar in einem Kranz um den Kopf, war schlank und hochgewachsen und bewegte sich wie ein junger Mensch. Niemals beklagte sie ihr grausames Schicksal. Ihre überlegene Haltung war bewunderungswürdig. In ihren Gesprächen kehrte immer wieder: ,, Wenn Erich noch lebte.." und dann erzählte sie von seinen Leiden im Konzentrations lager Oranienburg , von ihren verzweifelten Versuchen, ihn zu retten und dann von dem Tag, als man sie vor seine Leiche führte..
In unserer Zelle lebte auch die ehemalige kommunistische Reichstagsabgeordnete Roberta Gropper , eine alte Bekannte von mir. Sie war nach zwei Jahren Untersuchungshaft in diese Sonderzelle geschafft worden. Man hatte sie der Zugehörigkeit zur Neumann- Gruppe angeklagt. Ihr Gesicht war von grauer Gefängnisblässe, mit tiefen Rändern unter den Augen. Unaufhörlich zermarterte sie sich das Gehirn: Weshalb geschah dies alles? Habe ich mich durch irgendetwas schuldig gemacht? Und einmal fragte sie mich: ,, Wirst du, wenn wir ins Ausland kommen, alles das, was du in der Sowjetunion gesehen und erlebt hast, den ausländischen Arbeitern erzählen?" Als ich ihr antwortete, daß das unsere Pflicht sei und wir lange genug, wenn auch in Unwissenheit, die Handlanger der
10 Buber: Gefangene.
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