von ihrem Söhnchen getrennt, das sie bei ihrer Verhaftung einjährig zurückließ. Ihr Mann wurde ebenfalls verhaftet.;
Karola zeigte mir eine Fotografie und einen Brief von der Leiterin des Kinderheims, in dem sich ihr kleiner Sohn befand. Es war ihr nach unzähligen Eingaben gelungen, diese Nachricht über den Verbleib ihres Kindes in das Zuchthaus Kasan zu erhalten. Auf dem Foto stand ein kleiner, nackter Bursche mit den braunen Augen Karolas und preßte einen Teddybär ans Herz. Der Brief der Leiterin des Heimes war von rührender Zärtlichkeit. Sie schilderte ausführlich alle Eigenschaften des Kindes, daß er sehr begabt sei und eine große Freude am Theaterspielen habe. Einen liebevolleren Brief hätte auch eine Verwandte nicht schreiben können.
Überhaupt galten die einzigen Klagen in dieser Zelle den Kindern: „Wann werden sie uns nur die Kinder übergeben?“ Hilde Löwen, die bei der Verhaftung ein dreijähriges Kind zurückgelassen hatte, wußte gar ‚nichts über dessen Schicksal, ebensowenig wie Klara Vater.
Nur Zenzl Mühsam erhob immer wieder ihre warnende Stimme. Als Zellenälteste teilte sie das Essen aus.„Ich bitte euch, eßt nicht:so- viel! Sie wollen uns doch nur mästen, damit wir nachher ausgestellt werden können mit der Unterschrift: So sehen Häftlinge in der Sowjet- Union aus. Wer weiß, was die NKWD mit uns vorhat. Ich halte es gar nicht für ausgeschlossen, daß die Russen uns an Hitler ausliefern, um irgendein Geschäft zu machen. Sollte das geschehen, werfe ich mich unter die Räder des Zugs. Lebend bekommen sie mich nicht nach Nazi- deutschland.“
Zenzls Mann, der bekannte anarchistische Schriftsteller Erich Müh- sam, war von den Nazis im Jahre 1934 im Konzentrationslager Oranien- burg ermordet worden. Man hat ihn langsam zu Tode gequält. Zenzl Mühsam verließ 1934 Deutschland , um in der Emigration über die Morde und Grausamkeiten in deutschen Konzentrationslagern und Gefängnissen zu berichten. Sie hatte es sich zur Pflicht gemacht, dem Ausland die Wahrheit über den Nationalsozialismus zu sagen. In Prag kam sie in Verbindung mit der kommunistischen Roten Hilfe, die ihr bei ihren Publikationen behilflich war. Die Leiterin der Internationalen Roten Hilfe (Mopr) in Moskau , Stassowa, lud Zenzl Mühsam ein, in Moskau zu leben und zu arbeiten.
Zenzl war ein aufrechter, wahrheitsliebender, kämpferischer Mensch, der nicht durch die Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei verbogen worden war. Sie kam nach Moskau , wurde Gast der Stassowa und wohnte im Hotel„Nowaja Moskowskaja“. Es währte nicht lange, da sah sie mit den Augen eines unvoreingenommenen Beobachters die Verlogenheit des russischen Lebens. Diktatur und Sklaverei, wo man von Demokratie und Freiheit schrieb; Armut und Mißachtung der Menschen, die nach der
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