sich eben ein wenig zu legen. Alle gaben Ratschläge, wie sie am schnell­sten wachsen würden: ,, Am besten ist Regenwasser." ,, Du mußt immer fest gegen den Strich kämmen", und als Karola uns erzählte: ,, Einmal mußte ich sie mir für eine Rolle wasserstoffblond färben", waren alle empört, wie man so schöne, schwarze, wellige Haare mit Wasserstoff ver­hunzen könnte.

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Wenn ich herauskomme, lasse ich die Haare so, wie sie jetzt sind", und Karolas dunkle Augen lächelten strahlend. Mit welcher Leichtigkeit uns jetzt der Satz ,, wenn ich herauskomme" vom Munde ging. In Ge­danken wähnten wir uns schon im Ausland, in der Freiheit.

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Wenn wir nach dem üppigen Mittagessen- es gab jeden Tag die gleiche Speisefolge: Borschtsch aus Kohl mit einer Scheibe Fleisch, Goulasch mit Kartoffelpüree und als Nachspeise Kissel" oder Apfel­kompott auf dem Gang zwischen den Bettenreihen erzählend hin­und hergingen, gab es nur zwei Themen: Was hast du erlebt?" und , Was wird aus uns?"

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Karola Neher war am längsten von allen eingesperrt. Sie war be­reits im Herbst 1936 verhaftet worden. Aber wie war sie überhaupt nach Sowjet- Rußland gekommen? Als bekannte deutsche Schauspielerin hatte sie vor 1933 mit Bert Brecht zusammengearbeitet und Stellung gegen den Nationalsozialismus genommen. So war sie gezwungen, 1933 in die Emigration zu gehen.

In Prag lernte sie einen deutsch - rumänischen Ingenieur kennen, den sie heiratete. Er war Kommunist und wollte nach Sowjet- Rußland gehen, um am sozialistischen Aufbau mitzuarbeiten. Sie fuhren zusammen nach Moskau , und Karola begann dort an Radio und Film zu arbeiten.

Die Vorgeschichte zu ihrer und Zenzl Mühsams Verhaftung durch die NKWD spielte während ihres Aufenthaltes in Prag . Beide waren Münchnerinnen. Als sie in Prag lebten, erfuhren sie von der Anwesen­heit eines alten Münchner Bekannten, Erich Wollenberg. Sie besuchten ihn. Erich Wollenberg hatte damals bereits mit der Kommunistischen Partei gebrochen und war ein aktiver Gegner des Stalin 'schen Regimes geworden. Sowohl Karola Neher als auch Zenzl Mühsam gehörten nicht der KPD an, unterlagen also auch keiner ,, Parteidisziplin", die Besuche bei Gegnern des Stalinismus streng verbietet. Sie gingen zu Erich Wollen­berg als einem Freund aus der Münchner Zeit. Bei dieser Gelegenheit gab Wollenberg Karola Neher die Adresse eines Moskauer Bekannten, den Karola dann nach ihrer Ankunft besuchte. Das wurde der Grund zu ihrer Verhaftung. Die Anklage der NKWD machte sie zu einem trotzkistischen Kurier Wollenbergs, und man verurteilte sie zu zehn Jahren Zuchthaus. Noch während der Untersuchungshaft in der Lubjanka hatte Karola einen Selbstmordversuch unternommen, sie hatte sich mit einem Stück Blech die Pulsadern durchschnitten. Zu ihrem größten Schmerz wurde Karola

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