nach dem Woher und Wohin, und ein tiefes Schweigen antwortete ihm. Da flüsterte er seiner Nachbarin etwas ins Ohr, mit Augenzwinkern und Hinweis auf unsere beiden Abteile. Das muß sich wohl durch den ganzen Gang fortgesetzt haben, denn kurz danach defilierte einer nach dem anderen an unserem Abteil mit nachdenklichen oder mitleidigen Blicken vorbei.

Klara Vater erzählte mir, daß sie ein Töchterchen mit noch nicht zwei Jahren zurückgelassen habe, und da sie und ihr Mann am gleichen Tage verhaftet wurden, hatte das Kind keine Angehörigen mehr. ,, Wo mögen sie es hingebracht haben? Ob es noch am Leben ist?" Über ihren Mann hatte sie in der Untersuchungshaft erfahren, daß man ihm während der Verhöre bei der NKWD die Rippen eingeschlagen habe, um Ge­ständnisse zu erpressen.

Frau Fon war nur für kurze Zeit aus ihrer bedrückten Stimmung zu reißen. ,, Glaubt doch nicht, daß wir irgend etwas Gutes zu erwarten haben. Wen die NKWD einmal gepackt hat, den läßt sie so schnell nicht wieder laufen."

14. IN BUTIRKI UNTER VERÄNDERTEN BEDINGUNGEN

Wir näherten uns Moskau . Schon lange vorher waren wir aussteige­bereit. Immer wieder hauchten wir Löcher in die gefrorenen Scheiben. Nur noch ganz kurze Zeit, und unser Schicksal wird sich entscheiden.

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Dann liefen wir mit dem Bündel in der Hand- nicht mehr auf dem Rücken: so weit hatten wir uns schon vom Häftlingsdasein entfernt den Bahnsteig hinunter, ich hatte das Gefühl für die Schwere des Körpers verloren, so groß war die Lust am Leben.

Im Wartesaal, auf einer Bank unter vielen Zivilpersonen, saßen wir dann mit erhitzten Gesichtern. Aus einem Lautsprecher sang ein schmalziger Baß: Schiroka strana maja rodnaja... gdje tak wolno dyschet tschelowjek... Großes Land, du mein Heimatland... Mensch so frei atmet."

wo der

Nach einer Unterhaltung mit der Aufseherin gingen die beiden Männer unserer Begleitung fort. Unsere junge NKWD - Beamtin blickte sich neugierig in dem großen Wartesaal um. ,, Ich bin zum erstenmal in meinem Leben in Moskau ", gestand sie., Wie schön ist dieser Bahnhof! Und die vielen Menschen..." Dann erblickte sie einen Speiseeis­verkäufer, denn in Moskau gibt es zu allen Jahreszeiten ,, moroshnoje. Wollen Sie Eis haben?" Und sie brachte vier Portionen an. Nachdem das verspeist war, fragte sie: ,, Wollen Sie Piroschki?" Das sind in Fett ausgebackene, mit Fleisch, Reis oder Marmelade gefüllte Kuchen. Auch damit waren wir einverstanden, und bevor noch die halbe Stunde unseres Wartens um war, bot sie uns noch einmal Eis an, aber wir verzichteten dankend.

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