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zu sprechen, was ihr im Lager gesehen und erlebt habt?" fragte uns eine Erfahrene. ,, Nein, das wurde nicht ins Protokoll geschrieben." ,, Dann ist es ganz klar, daß ihr nicht entlassen werdet!" Eine Frau trat zu mir und bat, ob ich nicht mit ihr vor der Baracke ein wenig spazieren gehen möchte. Sie erzählte, daß sie als ,, Shena"( Ehefrau) verhaftet worden sei, einige Zeit in Akmolensk gewesen und jetzt zusammen mit einer Reihe anderer hierher transportiert worden sei.
,, Ich habe eine große Bitte. Ich habe Vertrauen zu Ihnen gefaßt. Meine Tochter ist allein in Moskau zurückgeblieben. Würden Sie einen Brief mitnehmen? Vielleicht gelingt es Ihnen, den irgendwo abzugeben. Tun Sie mir die Liebe und versuchen Sie es! Es hängt soviel davon ab, daß mein Kind eine Nachricht bekommt." ,, Haben Sie ihn schon geschrieben? Vielleicht gehen wir heute abend schon fort."- ,, Sie sind also einverstanden? Vielen, vielen Dank! Ich werde es Ihnen nie vergessen!"
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Sie brachte den Brief, und ich steckte ihn in den Büstenhalter. Gegen fünf Uhr nachmittags rief eine NKWD Beamtin unsere Namen auf. Die erste, die ich in Karaganda zu sehen bekam. Sie war frisch und jung, wohl zwanzig Jahre alt, noch mit einem richtigen Kinderlächeln, und die Uniform stand ihr ganz merkwürdig zu Gesicht.
,, Fertig machen mit Sachen!" rief sie ohne eine Spur von Strenge. So schnell waren wir selten herunter von den Brettern wie dieses Mal. Traurige, neidische Blicke begleiteten uns. Wir eilten über den Lagerplatz, doch bei der Wachstube kommandierte man plötzlich: ,, Stoj( Halt). Alles hereinkommen! Obysk( Durchsuchung)!" Mir rutschte das Herz in die Hosen. Was mache ich mit dem Brief? Bereitwillig packte ich den Sack aus. Vielleicht kommt keine Körpervisitation. Zwei Soldaten durchwühlten die Lumpen. Dann gingen sie hinaus und die junge Beamtin sagte:„ Ziehen Sie sich aus!" Mit einem raschen Griff holte ich den Brief aus dem Büstenhalter, bückte mich, legte ihn auf den Boden und trat mit dem Fuß darauf. Mein Glück, daß die Beamtin keinerlei Erfahrung hatte. Wir brauchten nicht einmal die Schuhe auszuziehen, und es gelang mir ohne Schwierigkeit, den Brief wieder an seinen alten Platz zurückzubefördern., Dawaj! Dawaj! Beeilt euch, sonst fährt der Zug fort", trieb sie uns zur Eile an.
Das Tor wurde aufgeschlossen, und einzeln verließen wir das Besserungs- Arbeitslager Karaganda . Vor dem Tor erwarteten uns zwei Uniformierte. Unsere Transportbegleitmannschaft. Man führte uns zum Bahnhof Karaganda . Nicht auf den Güterbahnhof, nein, in einen richtigen Wartesaal, in ein normal gebautes Haus, keine Baracke, keine Lehmhütte. An den Wänden hingen Fahrpläne. So sieht es also in der Freiheit aus! Der Bahnhof war merkwürdig menschenleer, außer uns stand im Wartesaal nur noch ein Mann. Wir legten unsere Bündel in eine Ecke.
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