entlassen? Wie kann ich vom Strafblock aus dort arbeiten?" wandte ich mit verständnislosem Gesicht ein. ,, Sie werden unter Bewachung im Büro arbeiten. Nicht in der Hauptverwaltung, sondern bei der Registrierung für Lagerkleidung. Morgen früh führt Sie der Posten dort hin."
Ich saẞ in einem großen Raum an einem besonderen Tischchen in der Ecke, der Posten ging zwischen Zimmer und Korridor hin und her.
In diesem Büro arbeiteten noch fünf andere Frauen aus dem ,, freien" Lager, unter ihnen Tasso. Es war mir verboten, mit ihnen zu sprechen. Aber verbiete das mal. Kaum drehte der Posten den Rücken, ging es schon los. ,, Gretuschka, was hat das zu bedeuten? Was machen sie mit dir für Extravaganzen! Serikow ist wohl dein Freund?" Es war so gut, so warm, so heimlich in diesem Büroraum, auf meiner Bank in der Ecke und vor mir die Karteikarten von Häftlingen, die eine Lagermütze oder Jacke oder Hose bekommen hatten. Tasso brachte mir ein Stück Brot und ein Stück Zucker, dann kam in einem Emaillebecher eine ganz besondere Attraktion: Tee- Ersatz. Der Posten wußte nicht recht, ob er einschreiten sollte oder nicht, und darum sagte er gar nichts. Da ging die Tür auf, und mit einem Gesicht, das noch verbitterter war als früher, kam Grete Sonntag in das Verwaltungsbüro. Ganz zufällig. Tasso sah sie und machte ihr Zeichen, sich in meine Richtung umzudrehen. Grete Sonntag sah mich, und ein Gemisch von Freude, Erschrecken und Schuldbewußtsein stand in ihrem Gesicht geschrieben. Tasso flüsterte ihr etwas zu. Grete Sonntag winkte mit den Augen ein ,, Auf Wiedersehen!" und verließ den Raum. Nach einer halben Stunde kehrte sie schmunzelnd zurück, in der Hand ihren ,, Katylok", der mit einem Stück Papier zugedeckt war. Durch Zeichensprache verständigten wir uns, was nun zu erfolgen habe. Meine leere Konservenbüchse stand unter der Bank, ich rückte sie an den äußersten Rand. Wir warteten, bis der Posten den Rücken drehte, dann lief Grete Sonntag zu meiner Bank, stellte den vollen ,, Katylok" darunter und nahm den leeren mit. Ein delikater Geruch nach etwas Gebratenem erfüllte den Raum. Alles schnupperte und lachte verschmitzt. Ich konnte nicht widerstehen, hob das Papier und erblickte Bratkartoffeln. So etwas vor dem Soldaten zu verspeisen war unmöglich, ich mußte bis zur Mittagspause leiden. Und unter den Kartoffeln lagen sogar Fleischstückchen.
Habe ich schon erzählt, daß Grete nicht nur die ,, Fellbase" von Burma unter sich hatte, sondern auch mithalf, wenn Tiere geschlachtet wurden? Das hatte sie bei ihrem Vater in Mannheim - Viernheim gelernt, der im Hauptberuf Ofensetzer war, in der toten Saison jedoch als Schlächter arbeitete. Vor der Fellbase", auf der Steppe, wurden die Tiere geschlachtet, und Grete Sonntag verteilte das Fleisch. Selbstverständlich fiel dabei auch etwas für sie ab.
99
Nur vierzehn Tage währte diese köstliche Zeit im Büro der Verwaltung. Alle alten Bekannten aus dem freien Lager kamen, um mich
9 Buber: Gefangene.
129


