zaun umgeben. Vor der Eingangstür saß Alexej Michailowitsch, um auf­zupassen, daß sich keiner den Eingesperrten näherte und ihnen Essen zu­steckte. Alexej Michailowitsch versah sein Amt zur völligen Zufriedenheit aller Häftlinge. Er nahm alles entgegen, was man den Arrestanten schicken wollte und übergab es ihnen persönlich.

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Nun saß er auf der Erde, mit einem Knüppel zwischen den Knien, in Lumpen von Kopf bis Fuß. Sein Gesicht war nur Bart. Daraus blickten ein Paar menschliche blaue Augen hervor. Er hatte wohl gehört, daß ich eine Deutsche sei, und so rief er mich eines Tages zu sich: Margarita Genrichowna, komm ein wenig her zu mir, wir wollen über Boris sprechen, der war doch auch mein Freund, wo mag er wohl hingekommen sein?" Auf der Backe hatte er einen offenen Furunkel, der Eiter war mit den Barthaaren verklebt. Aus seiner verschossenen Wattejacke hing überall die Füllung heraus. Seine Kulihosen waren beim Sitzen hoch­gerutscht, man sah die nackten, abgemagerten Beine mit lauter blauen Flecken bedeckt. ,, Von welcher Stadt in Deutschland bist du denn?" ,, Aus Potsdam , Alexej Michailowitsch." Was du nicht sagst, aus Potsdam ! Ja, daran kann ich mich gut erinnern. An Sanssouci und die große Fontäne." ,, Waren Sie denn einmal in Deutschland ?" Ich muß wohl ein sehr zweifelndes Gesicht gemacht haben bei dieser Frage. ,, Wenn man mich hier so sieht", und er zeigte auf die mit Lumpen umwickelten Füße ,,, wird's wohl keiner glauben. Als Student habe ich eine Reise durch Deutschland gemacht, war in Paris und fuhr über das Mittelmeer nach Rußland zurück. Ja, das waren noch Zeiten."

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Er wehrte mit der Hand die Fliegen ab, die wie wild nach den Furunkeln waren. Er wollte, daß ich ihm von meinem Leben erzähle. So nach und nach erfuhr ich, daß sein Vater einen Bauernhof besessen hatte, den er nach dessen Tod erbte. Er lebte wie ein einfacher Bauer, als aber die Kollektivierung kam, weigerte er sich, in die Kollektiv­wirtschaft einzutreten., Und weil ich öffentlich für Menschlichkeit ein­getreten bin und die Methoden kritisiert habe, die man auf dem Dorfe anwandte, haben sie mich dann geholt." Er war schon das vierte Jahr in Haft. Alexej Michailowitsch wurde bald seines Postens als Wächter enthoben, weil man feststellte, wie gut er für die im Arrest Sitzenden sorgte. Als ich vom Ziegeleiabschnitt zurück nach Burma kam, hatte er ein neues Amt: er war der für den ,, Kipjatok" Verantwortliche. In einem kleinen Verschlag neben der Männerbaracke stand ein ,, Titan ", das ist eine Heißwassermaschine, und., Kipjatok" das heiße Wasser für den Tee, ohne das sich ein russischer Mensch selbst in der Haft des Leben nicht vorstellen kann. Es gab zwar keinen Tee, doch monatlich ein kleines Päckchen irgendeines Ersatzes aus Apfelkernen und Apfelschalen, und dafür gab es für jeden Häftling zweimal täglich je eine halbe Kon­servenbüchse voll kochenden Wassers. In dem kleinen Verschlag saẞ

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