gnügen war, wenn die Opernsängerin in unserer winzigen Bude ihre gewaltige Stimme erhob. Doch waren wir ein sehr dankbares Publikum, und die arme Opernsängerin bedurfte so sehr der Anerkennung. Sie war neben Tamara am meisten von allen verlaust. Nachts saß sie oft bei der Petroleumfunzel und kratte die Läuse aus den Nähten ihres Hemdes. Sie hatte ein sehr bleiches, großes, regelmäßiges Gesicht mit leicht gebogener Nase und dunklen Augen. Das glatte Haar trug sie gescheitelt in einem Knoten.

Ein blondes Mädchen aus einer russischen Kleinstadt sang mit einer schönen, einfachen Stimme ein Volkslied mit vielen, vielen Strophen von dem traurigen Schicksal eines Fischers. Und diese Melodie klingt mir noch jetzt in den Ohren. Auch eine Tänzerin hatten wir, das Tamara, meine Freundin. Irgendwo, hatte sie ein feuerrotes Tuch aufgetrieben und tanzte nun auf Kosakenart, mit bezauberndem Temperament.

war

Eines Morgens hörte ich, daß man sich zur Sprecherlaubnis beim Lagerkommandanten melden könne. Eine große Gruppe aus dem Straf­block wurde nach der Arbeitszeit zum Verwaltungsgebäude gebracht. Unendliches Warten, jeder wurde einzeln vorgeführt. Während wir auf dem Korridor warteten, hörte ich, wie man drinnen im Zimmer mit den kriminellen und asozialen Frauen lachte. Da saßen Serikow, der Lager­kommandant, und der Natschalnik der NKWD an einem Tisch, um­standen von einigen uniformierten Untergebenen. Ich meldete mich vor­schriftsmäßig, man suchte meinen Aktendeckel, und Serikow mit seinem runden, freundlichen Mondgesicht fragte mich, was ich wolle. Von Serikow war allgemein bekannt, daß er Wodka über alles liebte, und man sang auch ein Liedchen auf ihn: ,, Nje bojimsa Serikow, Serikow...", das war eine Umdichtung des Liedes aus dem Disney- Film ,, Die drei kleinen Schweinchen": ,, Wir fürchten nicht den sjeri wolk( den grauen Wolf)...

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,, Ich bitte um eine Auskunft. Warum bin ich in den Strafblock ge­kommen?"- ,, Weshalb Sie in den Strafblock eingeliefert wurden, dar­über können wir Ihnen keine Auskunft geben." ,, Und wie lange werde ich im Strafblock bleiben?" Der Natschalnik der NKWD blätterte in den Papieren herum, es dauerte eine Weile, bis er antwortete und dann höhnisch grinsend: ,, Do kontschanje sroka!"( Bis ans Ende Ihrer Frist.) Das bedeutete noch drei Jahre schwerer körperlicher Arbeit bei schlechtester Ernährung. Dieses ,, do kontschanje sroka" kam einem Todesurteil gleich.

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Man munkelte allgemein, daß sich in unserem Barackenraum ein Spitzel befände. Alexandra flüsterte mir zu: ,, Entweder ist es Nina, die ehemalige Parteiarbeiterin, oder Raisa aus Charbin . Bei der letzten

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