Knochen war, erfuhr ich erst sechs Jahre später in der Freiheit durch eine Röntgenaufnahme. Damals merkte ich nur, daß es mir fast unmöglich war aufzutreten und der Fuß rot und blau anschwoll. Ein Ereignis, das ich vor meiner Arbeit im Gemüsek eller begeistert begrüßt hätte, war nun Anlaß zu tiefster Verzweiflung des ganzen Barackenraums. Der Feldscher pinselte den Fuß mit Jod und verordnete Innendienst. Ich übte mich mit verzerrtem Gesicht darin aufzutreten. Es ging ein wenig, wenn auch nur auf der äußersten Kante des Fußes. Am nächsten Morgen stand ich eisern bei der Kolonne„ Gemüsekeller". Aber als der Marsch losging, kam ich nicht mit, und ein Hagel von Schimpfworten und Flüchen des Postens ergoẞ sich über mich. Doch war ich erstens schon abgehärtet und außerdem hatte ich meine Pflichten, und das war das Entscheidende. Und dann fanden sich zwei brave Mithäftlinge, die mich unterfaßten und zur Arbeitsstelle schleppten.
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Es war Winter geworden in Burma. Das ist die Zeit, in der es den Häftlingen besser geht. Gearbeitet wird von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, und da die Sonne im Winter eben nur kurze Zeit scheint, ist der Arbeitstag erträglicher. Bei über 30 Grad Kälte wird nicht zur Arbeit ausgerückt und auch nicht bei Schneesturm. Die gefürchtetste Arbeit des Strafblocks im Winter ist die Schneehäufelung. Da wird der Schnee zusammengeholt und auf die Felder geworfen, vor allem auf das Gebiet der Gärtnerei, damit im Frühjahr bei der Schneeschmelze möglichst viel Wasser in den Boden eindringt. Dann gab es vor allem Kolonnen im Getreidespeicher. Die Kolonne muß sich am frühen Morgen, bei Sonnenaufgang, ihren Weg durch die riesigen Schneewehen bahnen. Die Luft glitzert von Schneekristallen. Wenn nicht das schwere Einatmen wäre, würde man die Kälte nicht spüren, so windstill ist es in der Steppe. Ein unendlicher Frieden. Und mit Gefluche und Gekreisch torkelt die Kolonne durch die Schneehaufen.
In dieser Zeit gab es stets eine Menge Frauen, die von der Arbeit ,, dispensiert" waren, die sogenannten, Unbeschuhten" und„ Unbekleideten". Asoziale und Kriminelle reisten darauf.
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Ich erinnere mich an einen Zählappell, als man eine derbe, großgewachsene Asoziale aufforderte, sich zur Arbeit anzustellen. Sie hob ihren Rock, zeigte sich nackt bis herauf zum Bauch und kreischte: ,, Kann ich etwa so arbeiten gehen?" Das wurde mit allgemeiner Heiterkeit und Freude quittiert, und sie brauchte nicht zu arbeiten.
Die Häftlinge ruhten sich aus und wurden geselliger. Am Abend sangen wir oft. In meinem Barackenraum gab es eine Opernsängerin aus Leningrad und eine Konzertsängerin aus Charkow . Die beiden wetteiferten miteinander, und ich muß gestehen, daß es kein reines Ver
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