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Zu unser beider Leidwesen hatten wir nach drei Tagen kein Fieber mehr. ,, An die Arbeit!" Man suchte einen Wasserfahrer. Wer versteht mit Ochsen umzugehen?" fragte der Natschalnik. Ich meldete mich und erhielt einen Strick mit der Weisung, mir zwei Ochsen in der Steppe einzufangen und dann aus dem Ziehbrunnen in der Ebene und einem anderen in dem kleinen Seitental Wasser zu schöpfen und die Baustellen damit zu versorgen. Nach der Brzelose- Kampagne mußten unsere Frauen nämlich die Dächer und Wände der Viehställe ausbessern. Dazu brauchten sie Wasser, um den Lehmbrei zu mischen.
Weit draußen in der Steppe lagen friedlich wiederkäuend so an zehn Ochsen. Mit dem Strick in der Hand näherte ich mich ihnen zögernd. Es war meine erste Bekanntschaft mit diesen braven Tieren. Aber als ich nur noch einige Meter von ihnen entfernt war, erhoben sie sich schwerfällig und trotteten gemächlich davon. Sie wußten genau, was ihnen bevorstand und haßten die Arbeit. Die Verfolgung ging weiter. Schon fürchtete ich, daß der Natschalnik meine Unfähigkeit beobachten würde. Je schneller ich lief, um so schneller rannten die Ochsen. Das stachlige Steppenkraut zerstach mir die nackten Beine. Da sann ich auf eine List. Ich legte mich ins Gras, und kurz darauf folgten die Ochsen meinem guten Beispiel. Dann kroch ich vorsichtig von hinten an einen ahnungslosen Schwarz- weißen heran und warf ihm den Strick über die Hörner. Er sprang auf. Zu spät. Und er ergab sich sofort in sein Schicksal. Nun stand ich vor einem neuen Problem: wie fange ich mir einen zweiten Ochsen, ohne daß der erste wieder davonlief? Ich zog am Strick, und der Gefangene folgte mir und welches Wunder aus der Gruppe der davonlaufenden anderen Tiere löste sich ein brauner und ging gehorsam hinter uns her. Der Schwarz- weiße hieß Wassja und der braune Mischka. Sie zogen immer gemeinsam an einem Joch. Aber welche neue Schwierigkeit! Zwinge einmal zwei Ochsen in ein Joch und noch dazu in ein kasakstansches. Da sind zwei Schrägbalken an der Wagendeichsel befestigt. Zwischen diese mußte man die Köpfe von Wassja und Mischka klemmen. Wenn ich glücklich einen drin und an der Außenseite der Schrägbalken den Eisenpflock durchgesteckt hatte, lag inzwischen der andere ruhevoll auf der Erde und kaute. Mein Glück war, daß am ersten Tag kein Natschalnik zusah. Was für eine Tierquälerei ist so ein kasakstansches Joch. Wenn ein Tier sich hinlegt, reißt es den Kopf des anderen mit herunter. Und wie sahen meine armen Ochsen aus! Jeder nahm sich das Recht, sie zu prügeln. Auf ihren Rücken waren blutverkrustete Stellen, sogar die Schnauzen waren wundgeschlagen.
Mit Mischka und Wassja durchlebte ich meine schönste Lagerzeit in Karaganda . Mit„ Zobi- Zopp"-Geschrei, das heißt rechts- links in der Ochsensprache, ging es langsam den Hügel bergan, nachdem der Ziehbrunnen in der Ebene ausgeschöpft war. Das zweite Wasserloch lag in
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