aber man erzählte, er sei ehemals Häftling gewesen. Dieser Hund konnte niemals genug bekommen. Entweder hatten wir die Wagen mit dem trockenen Brzelosemist nicht voll genug geladen oder den steinharten Lehmboden in den Viehställen mit unseren Spitzhacken nicht tief genug aufgeschlagen. Wahrscheinlich mußte er einer vorgesetzten Stelle seine Ergebenheit beweisen und deshalb seinen Plan ,, übererfüllen". Er tat es auf unsere Kosten, wir waren ja seine Sklaven. Und wie der Natschalnik, so die Wachposten und wie der Wachposten so der Brigadier. Das ging den ganzen Tag: ,, Dawaj! Dawaj! Vorwärts! Los!" Es trieb der Brigadier, es hetzte der Soldat, es schrie der Natschalnik.

Schweißüberströmt, gekrümmt und ganz betäubt kamen wir nach Sonnenuntergang in die Hütte, und da gab es nicht einmal ,, Naris" ( Bretter). Wir schliefen auf dem Lehmboden. Zum Waschen hatte keine mehr Kräfte. Und das will bei Frauen, bei Politischen, schon viel heißen. Der Hunger war schlimmer als nur je. Nur einmal noch im Leben ein ganzes Brot allein essen zu dürfen war der sehnlichste Wunsch aller.

Wieder arbeitete ich zusammen mit meinen alten Kameraden, der stubsnäsigen Alexandra, die gar nicht mehr lachen wollte, Tamara, der kleinen Dichterin, und Tanja, die so schöne Volkslieder singen konnte. Eines Morgens hatten Tamara und ich hohes Fieber. Da es in diesem Abschnitt kein Fieberthermometer gab, stellte der Natschalnik mit ,, Augendiagnose" fest, ob man krank oder arbeitsfähig sei. Wir zwei glühten, und er entschied: krank.

Wir lagen auf dem Lehmboden der Hütte und lächelten uns strahlend an. Gott sei Dank, wir haben's geschafft. Wir durften liegen, ausruhen. Wir waren so zufrieden, daß wir jede Brzelose in Kauf genommen hätten.

Tamara war ein dunkeläugiges, feingliedriges Mädchen von einund­zwanzig Jahren. Als Tochter eines Arztes hatte sie auf Wunsch des Vaters Medizin studiert, aber ihre Liebe gehörte der Poesie. Tamara schrieb Gedichte. Die Studenten ihrer Universität hatten einen litera­rischen Zirkel gebildet, in dem man diskutierte und aus eigenen Werken vortrug. Dort las Tamara ihre Gedichte, und eine ,, Hymne an die Frei­heit" wurde ihr zum Verderben. Die NKWD verhaftete sie und klagte sie der Vorbereitung des Terrors" an. Denn welchen Diktator hätte sie anders meinen können als Stalin? Ihr Urteil lautete auf acht Jahre Konzentrationslager, im Strafblock zu verbüßen.

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In Leninskoje hatte man Tamara den Mantel gestohlen, so blieb sie ohne Decke für die Nacht. Sie war jetzt schon so entkräftet, daß sie das Entlausen aufgab. Vor Magerkeit hingen ihr die Schultern vornüber. ,, Das Schlimmste ist, daß meine Mutter allein zurückblieb, denn meinen Vater haben sie ein halbes Jahr vor mir verhaftet", erzählte sie mit feuchten Augen.

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