Wenn der trockene Karagandik lebendig wird, beginnt der Sandsturm. Zuerst sieht man sie wie Igel langsam über die Steppe rollen, noch zögernd, von einer Richtung in die andere hin- und hergetrieben; dann beginnt es zu jagen. Hunderte von Igeln toben heulend über die Ebene, sie verwickeln sich, bilden einen Wirbel, erheben sich in die Luft und stürzen polternd zurück. Der Himmel wird schwefelfarben, der Horizont verwischt und mit Gedröhne jagen die Pferdeherden, die Rinder und Schafe zu irgendeiner geschützten Unterkunft. Dann kommt schon der Sand. Wir aber hocken in der Baracke, glücklich über den geschenkten Tag. Draußen heult es. Eine Wand von rasendem Sand. Zuerst grauer, dann gelber, hellerer, dunklerer ununterbrochen, Stunden hindurch. ,, Der kommt aus der Mongolei ", meinen die Sachverständigen.
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Wenn ich an die traurige Zeit im Abschnitt Leninskoje denke, fällt mir immer ein aus Holz gefertigtes Portal ein, das mitten in der Steppe stand, ein ganzes Stück von den Lehmhütten entfernt. Es führte kein Weg durch dieses Portal, aber es war auch kein Zaun, weder rechts noch links. Nichts, als ein ragendes Portal, und zwischen den Schrägbalken war mit großen Holzbuchstaben geschrieben: ,, Es lebe der 20. Jahrestag der Oktoberrevolution!"
10. OCHSENTREIBER UND ZIEGELEIARBEITER IN EL MARJE
Eines Abends, als wir von der Arbeit einrückten, stand ein Ochsenwagen bereit, und mit ,, Dawaj! Schneller, schneller!" mußten wir unsere Bündel zusammenraffen, aufladen und fort ging es in die Nacht hinein, so müde, so verschmutzt, so hungrig wie wir waren. Nach einem Marsch von vielen Stunden, bei dem einige Frauen schlapp machten und auf den Ochsenwagen geladen werden mußten, merkten wir, daß wir unseren Bergen am Horizont näher gekommen waren. Und als wir endlich das Ziel erreicht hatten, in eine Lehmhütte stolperten und uns aufs Stroh warfen, waren wir in dem neuen Abschnitt„ El Marje" angekommen.
El Marje lag eingebettet zwischen Hügeln, den fernen Ausläufern des Urals. Wie Kulissen umschlossen die Berge die Talmulde und ließen nur auf einer Seite den Ausblick in die unbegrenzte Steppe frei. Es war Herbst geworden. Ein sonniger, sibirischer Herbst. Die Sträucher der wilden Rosen an den Abhängen der Berge waren glühend rot, und ein mattblauer Septemberhimmel überwölbte dieses liebliche Tal.
Aber für uns vom Strafblock gab es kein Verweilen im Anblick sanfter Hügelketten. In El Marje herrschte die Brzelose, und unsere Brigade von zwanzig Frauen war zu ihrer Bekämpfung eingesetzt. Und wie mußten wir uns in El Marje quälen! Der Natschalnik dieses Abschnitts trieb uns zu immer größeren Leistungen an. Er war ein Freier,
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