zwanzig Rubel ausbezahlt worden waren. Ich kaufte im Überschwang der Begeisterung gleich ein Kilo Bonbons und ein ganzes Schwarzbrot. Dann standen wir, von oben bis unten mit dem Staub von Brzelose­mist bedeckt, und lutschten Bonbons und aßen Brot und vergaßen unsere tiefe Verzweiflung. Nach einer Weile zeigte mir Alexandra ihre durch­gelutschte Zunge und lachte wieder so wie früher.

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Wir hatten auf dem ,, Tog" gearbeitet, die Sonne war untergegangen und es wurde kalt. Eine Kriminelle griff nach einem leeren Getreidesack und hängte ihn sich um die Schultern. Das sah ein berittener Posten. ,, Nimm sofort den Sack herunter!" rief er., Nein, mich friert. Wenn wir abmarschieren, lege ich ihn wieder hin!" antwortete ihm der Häftling. ,, Ich werde dir zeigen, wer hier zu gehorchen hat." Der Soldat ritt auf sie zu und schlug sie mit der Nagajka über die Schulter. Die Kriminelle erhob ein mörderisches Geschrei, und als wir eingerückt waren, meldete sie sich sofort beim Natschalnik. Einige Tage später wurde der Soldat auf einen anderen Abschnitt versetzt.

In unserer Kolonne war eine Zigeunerin, vielleicht 16 Jahre alt. Sie war hübsch und hielt es für unter ihrer Würde, etwas zu tun, hatte aber nicht die geringsten Skrupel, die anderen ihre Arbeit machen zu lassen. Sie war wegen Fluchtverdacht im Strafblock und zeigte voller Stolz eine offene Wunde am Bein, die sie sich zugezogen hatte, als sie im Winter barfuß aus dem Gefängnis zu fliehen versucht hatte, wo sie wegen Pferdediebstahl saẞ. Ihr Vater war ein Pferdedieb, und auch sie ,, liebte" Pferde über alles. ,, Schon als kleines Mädchen wollte ich einen Hengst bändigen, da hat er mich in den Hals gebissen." Auch da hatte sie eine Narbe. ,, Das schönste auf der Welt ist das Leben im, Tabor ( Zigeunerlager)", sagte sie mit schwärmerischem Gesichtsausdruck. Und als einmal ein Soldat mit ihr anbändeln wollte, führten sie folgende Unterhaltung: ,, Sina, bist du in eine Schule gegangen?" ,, Nein, wozu habe ich eine Schule nötig?"- ,, Aber du mußt doch irgendetwas lernen, du muẞt doch auch ein kultivierter Mensch werden!"- ,, Laß mich in Ruhe!" ,, Da weißt du vielleicht nicht einmal, was Sozialismus ist?", und sie antwortete ihm: Geh zum Teufel mit deinem Sozialismus! Ich bin ein freier Zigeuner!"

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Diese unsere hübsche Zigeunerin floh eines schönen Nachts zu­sammen mit einer Politischen, einer runden, blonden, gemütlichen Köchin aus Leningrad . Wie dieses Paar sich über eine gemeinsame Flucht ver­ständigt haben konnte, blieb mir ein Rätsel. Damals arbeiteten wir in zwei Schichten, Tag und Nacht, auf dem ,, Tog" beim Getreidereinigen. Nachts wurde der Platz mit großen Windlichtern erleuchtet.

Als es noch finster war, rückte die Kolonne von der Arbeit ein. Und zwischen Ankunft und Verlesen der Namen waren die beiden ver­

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