Die Ziehbrunnen lagen verstreut und zum Teil außerhalb des Ortes. Die Verbannten trugen der kasakischen Bevölkerung das Wasser zu. Alexandra jedoch hatte in kurzer Zeit den einträglichsten Beruf unter allen Verbannten: sie bescherte den Frauen der kasakischen Sowjet­beamten die ersten europäischen Hüte und danach auch die ersten europäischen Kleider, denn bis dahin gingen sie nach mohammedanischer Art gekleidet. Sie hatte durchschlagenden Erfolg, und als sie dann auch noch begann, für die kasakische Männerwelt eine Art Uniformmütze zu kreieren, wurde sie mit Geld und Lebensmitteln nur so überschüttet. Sie erzählte mir, daß sie nie zuvor so üppig gelebt habe, wie in dem Städtchen am Rande der Steppe. Sie bat und flehte ihren Mann in Briefen an, er solle sie wenigstens einmal besuchen. Er wagte es nicht. Sie hörte auf, ihm zu schreiben. Ihre Verbannung war auf drei Jahre festgesetzt. Nach Jahren, eines Nachts im Winter 1938, wurden sämtliche Verbannte verhaftet und auf Schlitten zur nächsten NKWD­Stelle gebracht. Alexandra schilderte mir lachend ihr erstes Verhör: ,, Ich war in alles eingewickelt, was ich besaß. Über dem Mantel noch ein Umschlagtuch, um den Kopf zwei Kopftücher. Ich sah aus wie eine Kugel auf Rädern. Und an den Beinen trug ich dicke Filzstiefel. So kam ich herein zum Untersuchungsrichter. Da mußte ich mich auf einen Schraub­sessel setzen, der viel zu hoch war. Ich balancierte wie auf einem Thron und schwitzte entsetzlich vor Angst und Hitze. Da las er mir meine An­klage vor: Sie haben gemeinsam mit den Verbannten des Ortes einen bewaffneten Aufstand vorbereitet. Ich konnte gar nicht verstehen, was er damit meinte und fragte: Mit welchen Waffen denn, Herr Unter­suchungsrichter? Und da mußte er selbst lachen, wahrscheinlich bei der Vorstellung, wie ich Kugel einen Revolver schwinge."

Aber es endete gar nicht humoristisch. Alexandra wurde zu 8 Jahren KZ verurteilt, und kam nach Burma. Sie litt entsetzlich unter Hunger. Eines Tages, wir arbeiteten im Schafstall, blieb Alexandra allein zurück, während wir dem Ochsenwagen folgten, um ihn abzuladen. Als wir zurückkehrten, gelang es mir gerade noch, Alexandra vom Strick loszu­machen. Sie hatte sich an einem Balken aufgehängt.

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Auf diesem Abschnitt hatten wir ein Eselchen. Einmal iahte es plötzlich durchdringend über den ganzen Platz. Da schrie alles voller Freude: Der Larjok kommt!" Das war der Lagerkaufladen, auf eine Holzkarre geladen und mit einem Eselchen bespannt, der die Mutter unseres jungen Esels war. Eselchen und Häftlinge begrüßten den ,, Larjok" gleich enthusiastisch. Eigentlich durften wir gar nicht kaufen, denn der Laden kam speziell für die Traktoristen heraus auf die Felder; aber da war kein Halten mehr, umso mehr als mir doch kürzlich fünfund­

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