Kirchenlieder. Als sie merkten, daß es mir Freude machte, wurden sie, die immer sehr scheu waren, ganz zutraulich und fragten, ob es in Deutschland auch Kirchenlieder gäbe. Ich sang ihnen ein altes Marienlied vor, und sie verlangten immer noch eins. Und so freundeten wir uns an. Einmal gab es Fleisch in der Suppe, das war zu der Zeit, als die Mähdrescher bei unserem Abschnitt ernteten und ihre Lenker aus der gleichen Küche verpflegt werden mußten wie wir. Allgemein herrschte große Freude. Da kam eine der Nonnen ganz schüchtern zu mir und erzählte, daß sie jetzt Fastenzeit hätten und kein Fleisch essen dürften, ob ich es wohl haben möchte. Ich habe nicht nein gesagt.
Die beiden lebten völlig isoliert von allen anderen Häftlingen, sowohl von politischen wie von kriminellen. Sie machten einen verängstigten Eindruck und stellten niemals auch nur die geringste Forderung. So lagen sie, als die Kolonne nach Burma zurückkehrte und es sehr wenig Platz in der Baracke gab, in dem Schmutz unter den Brettern, ohne auch nur ein einzigesmal zu protestieren.
Dann war noch Lydia in unserer Kolonne, ein armer Trottel, die ein rotes, völlig verschossenes Kattunkleid an hatte, sonst nichts. Auf der Brust zerschliß es schon und sie versteckte immer schamhaft ihren Busen. Sie hatte keine Vorderzähne mehr, obgleich sie noch nicht 30 Jahre alt war. Mit strahlendem Gesicht erzählte sie von ihren Erfolgen bei den Männern. Sie stammte vom Lande und war wegen unerlaubten Verlassens des Wohnsitzes verhaftet worden. Sie war der Kolonnennarr. Alle foppten sie, Soldaten und Männerhäftlinge: ,, Lydia, wo hast du deine Zähne gelassen? Wenn du dir welche machen läßt, werden wir bei dir schlafen!" Um zu zeigen, was für ein Kerl sie war, drehte sie durch Stunden die Kurbel der Reinigungsmaschine, und dabei lief ihr der Urin die Beine herunter. Sie bettelte unentwegt um Suppe.„ Daj, Lydia Kusotschik chleba!"( Gib Lydia ein Stückchen Brot!) sprach sie jeden wie ein Kind an.
Ich habe schon erzählt, daß wir über zwei Monate keine Seife bekommen hatten, der schwarze Dreck war schon tief in die Haut eingedrungen. Damals habe ich das erste- und einzigemal im Lager gebettelt. Auf dem Wege zur Küchenbaracke begegnete ich einem Arbeiter aus der Reparaturwerkstatt, den ich von früher her kannte. Er arbeitete jetzt am Mähdrescher. Von ferne grüßten wir uns. Er sah mit sichtlichem Schrecken auf mein verändertes Aussehen: ,, Sind Sie gesund? Ist es sehr schlimm im Strafblock?" Und da faßte ich mir ein Herz: Können Sie mir ein Stückchen Seife geben? Schon zwei Monate haben wir nichts mehr bekommen." Und er schenkte mir wirklich ein richtiges Stück Toilettenseife.
Ein Freudentag war es auch, als man einmal meinen Namen rief und ein eben angekommener Häftling mir ein kleines Päckchen über
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