schießen, worauf die gesamte Bewachungsmannschaft des Lagerabschnittes herbeieilte. Man umringte Iwan Petrowitsch, überwältigte ihn und schaffte ihn ins Arrestloch.

Die Frauen waren sehr aufgeregt. Alle wußten, daß er sich diesen Rausch mit den gestohlenen Sachen erkauft hatte, und in ihrer Phantasie sahen sie Iwan schon zum Tode verurteilt. Aber es sollte ganz anders kommen. Am nächsten Morgen wurde er auf einem Lastauto unter Be­wachung davongeschafft.

Und nun muß ich erzählen, wie ich ihm wieder begegnete, als ich lange Zeit später als Einzeltransport nach Burma zurückgekommen war. Man hatte mich der Gärtnereikolonne zugeteilt und mit einer ehren­vollen Aufgabe betraut: nämlich der, Tomaten zu ernten, weil man an­nahm, daß ich etwas weniger stehlen würde als die anderen. Morgens beim Antreten wollte ich meinen Augen nicht trauen: da stand in der gleichen Kolonne, bei den Frauen, Dschura, die kleine Ukrainerin, und bei den Männern Iwan Petrowitsch in voller Größe und Schönheit.

In der Gärtnerei begann ich Tomaten zu ernten, besser gesagt, zu essen, bis ich vor Erschöpfung nicht weiter konnte. Die übrige Kolonne sortierte Zwiebeln aus. Zwischen dem Tomatenfeld und den anderen Häft­lingen patrouillierte der Soldat hin und her. Nun war das Tomatenfeld so wie alle Felder in der Gärtnerei, von Wassergräben durchzogen. Rings herum lief ein tiefer Graben, der jetzt trocken stand. Ich hatte schon einige Stunden gepflückt, gerade war wieder ein Korb voll, als ein energisches ,, Pst!" mich aufblicken ließ. Da hockte Iwan Petrowitsch im Wassergraben und machte mir mit einer Handbewegung klar, daß ich ihm umgehend die Tomaten zu bringen hätte. Seine Haltung war so kategorisch, daß ich gar nicht auf den Gedanken kam, zu widersprechen. Ich schüttete ihm den Korb voll in den Graben; er raffte die Tomaten mit irgendeinem Sack zusammen und verschwand. Der Soldat sah nichts. Später blickte ich hinüber zu den Zwiebelsortierern, da lagen unter einem Sonnenschutz, aus der Häftlingsjacke hergestellt, Iwan und Dschura fried­lich vereint und aẞen meine geernteten Tomaten. Der Soldat aber ging auf und ab und sah nichts.

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Doch zurück zum Abschnitt Leninskoje. In unserer Kolonne ar­beiteten damals zwei Nonnen, Frauen zwischen 30 und 40 Jahren. Soviel ich aus ihren Erzählungen entnehmen konnte, gehörten sie einem reli­giösen Orden an und waren wegen ,, konterrevolutionärer Agitation" ver­urteilt worden. Sie trugen immer einen Strick um ihr Kleid gebunden, so daß es etwas an eine Kutte erinnerte. Einmal, draußen auf der Steppe während einer Mittagspause, saßen die beiden auf einem Getreidehaufen und sangen. Ich ging zu ihnen, um zuzuhören. Es waren schöne, alte

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