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atmete schon erleichtert auf, dann wandte sie sich zu mir und sagte laut in deutscher Sprache: ,, Sieh mal, Grete, dort über den Hügeln der schöne Stern. Ist das nicht die Venus?", Verfluchtes Weib, wirst du endlich aufhören zu reden!" antworteten Häftlinge und Soldat im Chor. Die arme Olga endete nach kurzer Zeit auf einem Invalidenabschnitt, wo man bei leichter Arbeit täglich 200 Gramm Brot bekam.

Wir arbeiteten zu jener Zeit auf einem ,, Tog". Die neu eingetroffene Brigade, die aus Zugängen bestand, mußte hinter den Erntemaschinen hergehen, die Getreidesäcke auf die Wagen laden usw. Wenn wir morgens zur Arbeit gingen, war es empfindlich kalt, gegen Mittag erwärmte es sich bis zu 40 Grad.

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Die Zugänge besaßen noch ihre Privatkleidung, hatten Mäntel und warme Sachen. Die zogen sie dann im Laufe des Tages aus und legten sie an den Rand des Togs". Als sie eines Mittags vom Felde zurück­kamen, waren ihre Kleidungsstücke verschwunden. Den Mantel einzu­büßen ist im Lager ein großes Unglück, denn damit verliert man auch die Decke für die Nacht. Wer hatte die Sachen gestohlen? Alle kannten die Täter, aber niemand wagte es laut zu sagen. Der Natschalnik des ,, Togs" war ein Krimineller, ein berühmter Moskauer Bandit, Iwan Petrowitsch mit Namen. Sein Mitarbeiter hieß Sosnin, ein ehemaliger Advokat, der bereits von seinen 10 Jahren Lagerstrafe, zu denen er wegen eines Eifersuchtsmordes an seiner Frau verurteilt worden war, acht hinter sich gebracht hatte. Außer diesen beiden gab es noch zwei Mädchen dort, die ,, Lagerfrauen" Iwan Petrowitschs und Sosnins, und eine alte Zigeunerin, die sich ,, Tog" wächterin nannte. Alle wußten, daß Iwan Petrowitsch und Sosnin die Diebe waren.

Am Abend dieses Tages gingen wir traurig zum Lager zurück. Wir hatten uns schon vor die Baracke gelegt, der Soldat saß wie gewöhnlich auf seinem Schemel, die Dämmerung ging in Nacht über, da näherten sich plötzlich Schritte unserer Baracke. Alle hoben die Köpfe. Wir sahen, wie Iwan Petrowitsch heranschwankte und auf die Barackentür zustrebte. Er hatte sich nämlich in ein ukrainisches Bauernmädchen verliebt, in die 17jährige Dschura, die zu unserer Kolonne gehörte und, da sie unemp­findlich gegen Wanzen war, in der Baracke schlief. Iwan Petrowitsch war völlig betrunken, er wollte am Posten vorbei, da erhob sich der und schrie: ,, Stoj!" Der Bandit aber machte keine Anstalten stehen zu bleiben, sondern drehte sich zu dem Soldaten um: Was willst du, Hundesohn?" Da packte ihn der am Ärmel und ritsch, riẞ der Hemdärmel aus. Iwan bedachte den Soldaten mit haushohen Flüchen, riß sein Hemd vorn über der Brust entzwei und warf mit großer Geste die Fetzen von sich: ,, Das sollst du mir büßen, du Lump! Mein bestes Hemd hast du zerrissen!" Bisher hatte der Soldat nur mit dem Gewehr herumgefuchtelt, aber als sich Iwan jetzt erneut der Baracke zuwandte, begann er in die Luft zu 102

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