sehen, nein, ihre Lebensgewohnheiten, ihr ganzes Gehabe, war so deutsch , wie aus der Zeitschrift ,, Daheim" entnommen. Sie war groß, hellblond, mit weißer Haut, die keine Sonne vertragen konnte, hatte schmale Schultern und ausgebildete Hüften und trug die Haare so wie unsere Mütter in einem Knoten auf der Höhe des Hinterkopfes. Sie war aber erst dreißig Jahre alt.
Einmal tat ich einen Blick in ihren Kleidersack. Da hatte sie Wäsche mit durchlöcherten Leinwandstickereien, die war sorgfältig übereinandergelegt, mir schien das Wäscheband zu fehlen, auf dem mit Kreuzstich stand:, Was Mütterchen mir einst beschert, halt ich in diesem Schranke wert..."
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Olga war Pianistin, als Künstlerin in der Sowjetunion bekannt. Ihr Mann, ebenfalls ein Musiker, war verhaftet worden und nach ihm Olga. Ihre Anklage lautete auf ,, Spionage". Sie hatte im Ausland studiert und stand mit Freunden im Briefwechsel. Sie wurde zu fünf Jahren Lager verurteilt und bekam als strafverschärfend ,, pod konvoj".
Von Jugend an hatte Olga Klavier gespielt. Sport oder körperliche Arbeit waren ihr völlig fremd. In einer Bluse, die einmal weiß gewesen war, mit nackten Beinen, wild ins Gesicht hängenden Haaren, stürzte sie mit einem Eimer Getreide hin und her. Sie hatte die Aufgabe, den Trichter der Reinigungsmaschine zu füllen. Der Eimer entglitt ihren Händen, sie schüttete das Getreide daneben, sie kam nicht schnell genug nach, und von allen Seiten ertönte es ununterbrochen:„ Dawaj, dawaj! Ja, so arbeitet die Intelligenz! Es wurde ja höchste Zeit, daß die Burshuika mal arbeiten lernt!" Schon nach ein paar Stunden war Olgas Gesicht puterrot, von der Sonne verbrannt. Der Arbeitsgang wechselte, sie sollte die Kurbel der Reinigungsmaschine drehen, aber sie schaffte es mit Mühe und Not zehnmal, dann bettelte sie erschöpft, man solle sie ablösen. An einem solchen Menschen tobt sich die ganze Brutalität der Bewachungsmannschaften und der Mithäftlinge aus. Als Olga nach ein paar Tagen mit von Sonnenbrand angeschwollenen Beinen und Händen kaum noch kriechen konnte und morgens den Brigadier anflehte, sie doch in der Baracke zu lassen, wandte sich der Chor der Häftlinge gegen sie:„ Das könnte ihr so passen! Wegen eines bißchen Sonnenbrand nicht zur Arbeit! Die ist nur zu faul! Wir mußten unser ganzes Leben lang schuften, aber die hat sich immer geschont!" Da wandte ich mich an eine besonders Bösartige: ,, Werden bei euch in der Sowjetunion Künstler so verachtet? Wieviel einfacher ist es, körperliche Arbeit zu machen! Von der Sorte, die eine Getreidemaschine bedienen können, gibt es Millionen!" Aber mit dieser Verteidigung schadete ich Olga nur. Außerdem war sie sehr unpraktisch und langsam.
Abends rückten wir zerschunden und verstaubt wie die Kohlenträger von der Arbeit ein. Wir durften erst bei Sonnenuntergang das Feld ver
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