Jalta am Schwarzen Meer . Da war es sehr schön. Mein Lungenbefund wurde in kurzer Zeit negativ, und ich beschloß, Arbeit zu suchen. Bevor ich eingesperrt wurde, hatte ich Schuster gelernt. Im litauischen Zucht­haus aber brauchten die Politischen nicht zu arbeiten, auch waren wir nicht in Einzelhaft, sondern durften lesen, wir organisierten Kurse, und so habe ich sieben Jahre gelernt und studiert. Habe alle Schulkenntnisse nachgeholt, die mir fehlten, denn ich konnte als Junge keine hohe Schule besuchen, mein Vater war Schuster, starb ganz jung, und die Mutter mußte uns vier Kinder ernähren. Wir hatten gute Lehrer im Zuchthaus, vor allem natürlich schulten wir uns politisch. In Jalta riet man mir, wegen der Lunge lieber im Süden der Sowjetunion zu bleiben. Darum ging ich nach Odessa und arbeitete in einer Schuhfabrik. Da lernte ich ein Mädchen kennen. Das erste in meinem Leben, und wir heirateten. Dieses Glück dauerte ein halbes Jahr, dann holte mich eines Nachts die NKWD . Sie hatten einen, Spion' aus mir gemacht. Wie konnte es denn anders sein: ich war im Auftrag der litauischen Ochrana, die mich bereits im Zuchthaus angeworben hatte, über die russische Grenze ge­kommen usw. usw. Das war die Litanei meines Untersuchungsrichters. Und als dieses Vieh mich zwingen wollte, das Protokoll zu unter­schreiben, da habe ich ihm bewiesen, daß ich wußte,, wie sich ein Kommunist beim Polizeiverhör zu verhalten hat. Er begann mich zu prügeln, und ich brüllte wie ein Stier, daß es über alle Korridore schallte. Da hielt er sofort inne. Diese Methode hatten wir mit Erfolg in Litauen ausprobiert. Aber dadurch machte ich mir diesen Burschen zum Feind, und obgleich ich noch in Untersuchungshaft einen Blutsturz bekam, wurde ich sofort nach meiner Entlassung aus dem Gefängnis­lazarett zu acht Jahren Konzentrationslager verurteilt mit, pod konvoj als Strafverschärfung Von den neun Monaten Burma erzähle ich

dir später. Wie gut, daß ich dich getroffen habe. Du bist der erste Mensch hier im Strafblock, mit dem man reden kann. Begreifst du, daß einen hier niemand versteht? Wir ausländischen Kommunisten reden doch eine andere, nur uns verständliche Sprache. Ist es nicht, als ob wir uns schon jahrelang kennten? Sehen wir nicht die Geschehnisse, die Welt mit den gleichen Augen? Wie gut, daß wir uns trafen. Ich habe so schrecklich viel zu fragen..."

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,, Komm, noch eine Zigarette, bevor wir abmarschieren. Darf ich Margarete zu dir sagen? Es gibt ein so schönes litauisches Lied mit deinem Namen."- ,, Kannst du singen?"- ,, Ja. Jetzt bin ich heiser von Hitze und Staub, aber morgen, auf dem Feld, bekommst du meine Lieblingslieder zu hören."

Die Sonne sank im Westen. Man rief zum Antreten. Wir gingen nebeneinander. Boris, schmutzig, unrasiert und zerlumpt; ich, die Füße

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