wieviel Jahren ich verurteilt worden sei. ,, Haben Sie schon einen , Katylok( das ist eine Vier- Liter- Konservenbüchse, die die Häftlinge als Eẞgeschirr benutzen. Im Lager erhält man kein Eẞgeschirr und keinen Löffel. Als Zugang muß man immer jemanden darum bitten.)

,, Nein."

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,, Soll ich Ihnen einen machen? ,, Das wäre sehr schön." Am nächsten Tag stand er wieder da, mit einer nagelneuen Konserven­büchse, die sogar einen Griff aus Draht hatte. Ich bedankte mich über­strömend für das schöne Geschenk, und wir gingen plaudernd über die Lagerstraße. Ich erfuhr, daß er in der Freiheit Lokomotivführer gewesen sei. Er war erstaunlich gesprächig, und bevor ich dieses Erlebnis zu Ende erzähle, muß ich sagen, daß ich mir bis jetzt noch nicht darüber klar geworden bin, ob dieser Mann ein Provokateur war oder mir als Ausländerin solches Vertrauen entgegenbrachte. Nach einigen Tagen kam ein neues Geschenk: ein kleiner Blechnapf. Das übertraf an Wert noch bei weitem die Konservenbüchse. Schon nach kurzer Zeit begann er, ganz merkwürdige politische Ansichten zu äußern. Er erzählte begeistert von einer nationalen Widerstandsbewegung unter den Kasaken, die nur dar­auf warteten, daß der Krieg mit Deutschland ausbräche, und ihre letzte und einzige Hoffnung sei Hitler . Ich war erschüttert und widersprach mit ganzer Überzeugungskraft: Ja, um Gotteswillen, da kommen Sie ja vom Regen in die Traufe! Wissen Sie denn überhaupt, was Hitler be­deutet? Das hieße doch eine Diktatur durch die andere ablösen!" Er aber blieb Feuer und Flamme für Hitler.

Noch ein schönes Geschenk brachte er mir, ein selbstgemachtes Messer. Es war streng verboten, ein Messer zu besitzen, aber jeder Häft­ling, der etwas auf sich hielt, schmuggelte eines durch alle Unter­suchungen. Das geschenkte Messer hatte die Größe eines Dolches und einen Griff aus Hartgummi, der mit kleinen Metallstückchen wunder­hübsch verziert war.

*

In Karaganda habe ich nur sehr wenig wildlebende Tiere gesehen. Außer an einen riesigen Aasgeier und eine Reihe farbenprächtiger Vogel­arten, die aber nicht singen konnten, erinnere ich mich an keine. Als eines Tages auf dem kleinen gestauten Teich, an dem unsere Baracke lag, ein Pärchen wilder Enten schwamm, stand in der Mittagspause allés am Ufer und freute sich über dieses Ereignis. ,, Wo mögen die her­gekommen sein?"- ,, Hier gibt es doch weit und breit kein Wasser?" Wieviel tausend Kilometer sind die geflogen, um gerade in unseren Teich zu kommen." Sie waren gar nicht scheu, sie schwammen umher, als ob der Teich ihnen gehöre. Vor lauter Freude warf man ihnen von der kärglichen Brotration Brocken zu.

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Am Abend nach der Arbeit galt mein erster Blick den Enten auf dem Teich. Sie waren noch da, nicht wieder weggeflogen. Da werden sie

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