ausgerissen. Und dann die jämmerliche Kleidung. Schwarzgraue, wattierte, durchsteppte Jacken und ebensolche Kulihosen, dunkelgraue Hemden mit Stehbündchen. Die Haare kurz geschoren, rasieren kam nur sehr selten vor. Doch in der Erinnerung scheinen mir ihre Gesichter die schönsten und menschlichsten, die ich je gesehen habe.
Bei meiner Arbeit als Lehrling hatte ich eine Statistik über die täglich geleistete Arbeit der Traktoren zu führen. Wieviel Stunden Arbeitsausfall zu verzeichnen war, wodurch der Arbeitsausfall verursacht wurde, ob durch Schuld des Häftlings oder durch Treibstoffmangel oder Motorenschaden usw. usw. Das muẞte genau kontrolliert werden. Unter den dortigen Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnissen war diese Einrichtung besonders grotesk. In der Reparaturwerkstatt mangelte es unentwegt an Maschinenteilen, aber eine von einem Häftling verschuldete Stunde Arbeitsausfall mußte statistisch erfaßt werden.
Konstantin Konstantinowitsch, ein Ungar, paßte vorzüglich zum Natschalnik für dieses Büro, er war ein vertrockneter, engstirniger Bürokrat. Der Leiter der Reparaturwerkstatt war ein tschechischer Ingenieur, German Germanowitsch, dem man noch ansah, daß er in Freiheit einen runden Schmerbauch gehabt hatte, der jetzt traurig herunterhing. Ich versuchte mehrmals mit ihm ins Gespräch zu kommen, er konnte sehr gut deutsch, war aber derart verängstigt, daß es nicht möglich war, über„, Guten Tag" und„, heute scheint die Sonne " hinwegzukommen. German Germanowitsch hatte westeuropäische Begriffe von Ordnung. Die landwirtschaftlichen Maschinen standen alle in Reih und Glied; die Mähdrescher nicht unter freiem Himmel, sondern in Schuppen. Die Reparaturwerkstatt und ihre Umgebung unterschied sich auffallend von den Fabriken und Fabrikhöfen, die ich in der russischen Freiheit gesehen hatte.
Die Büroangestellten wurden auch zu Udarnikiarbeiten( Stoßbrigaden) bei der Frühjahrsbestellung herangezogen, selbstverständlich ,, freiwillig". Dabei erinnere ich mich an etwas ganz Unglaubliches: die Häftlinge wurden aufgefordert, von ihrem„ Verdienst" freiwillig Staatsanleihe zu zeichnen. Und es gab viele, die nicht wagten, sich zu weigern. Als ,, Udarniki" arbeiteten wir von Sonnenaufgang bis 12 Uhr mittags auf dem Feld und von 1 Uhr bis 8 Uhr abends im Büro. Morgens holte uns ein Brigadier unter lautem Geschrei aus der Baracke. Auf dem Feld war ein bestimmtes Pensum zu hacken. Damals hatte ich noch so viel Kraft, daß es mir nicht besonders schwer fiel, sogar noch Klement Nikifrewitsch zu helfen, der schon beinahe fünf Jahre in Haft war und sich schrecklich abmühte, um fertig zu werden. Diese Feldarbeit wurde besonders bezahlt.
Hier kurz einiges über die Entlohnung im Konzentrationslager Karaganda . Als Lehrling im Büro erhielt ich keine Bezahlung. Ab
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