und, ich muß sagen, gerechtfertigter Bemerkungen und begann am näch­sten Tag dort zu arbeiten. Sie wohnte auch in einem winzigen Verschlag in dieser Hütte. Schon nach einigen Tagen war die ,, Fellbase" nicht wiederzuerkennen. Die Felle waren sauber abgeschabt und mit Salz ein­gestreut. Da gab es einen Raum, in dem nur die sogenannten Merluschka­felle lagen( das sind wertvolle Felle von neugeborenen Schafen). Jedes Fell war mit einem Zettel versehen, eingeteilt in erste, zweite und dritte Kategorie. In einem anderen Raum lagen die weniger wertvollen Felle sauber aufgeschichtet wie Matratzen. Grete Sonntag hatte sich, trotzdem sie nur einen einzigen russischen Satz beherrschte, aus dem Krankenhaus Gummihandschuhe und eine desinfizierende Flüssigkeit besorgt und hielt sich und ihre Umgebung einwandfrei sauber. Wenn die Häftlinge von den verschiedenen Unterabschnitten auf Ochsenwagen oder Lastautos die Felle ablieferten, wurden sie von ihr auf einer großen Waage nach ihrem Gewicht kontrolliert. Und wehe, wenn ein Gramm fehlte. Jeder Häftling hatte begreiflicherweise nur ein Ziel: Felle zu stehlen und sie bei den Kasaken gegen Lebensmittel einzutauschen. Bei Grete Sonntag gab es kein Verständnis dafür. Ordnung mußte sein. Auch im Konzentrations­lager.

Einige Monate später, als ich schon lange im Strafblock war, erfuhr ich, daß vom Verwaltungspunkt des Lagers Karaganda , aus Dolinki, eine besondere Kommission angereist kam, um sich das Wunderwerk der Njemka( Deutschen), die ,, Fellbase" in Burma, anzusehen.

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Ich aber begann als Statistiker- Lehrling im Büro bei Konstantin Konstantinowitsch zu arbeiten. Meine Kollegen waren Klement Nikifre­witsch, politischer Häftling und ehemaliger Schuldirektor aus Nowo­ Sibirsk , Semjon Semjonowitsch, politischer Häftling und ehemaliger Parteiarbeiter aus Weißrußland , Gregorij Iljitsch, politischer Häftling und ehemaliger Agronom aus Kasan , Maslow, ein Politischer mit einem Ge­sicht wie Nikolaus II. , und ein schwer malariakranker Kassierer von der kaukasischen Eisenbahn.

Man empfing mich Neuling mit großer Herzlichkeit. Jeder bemühte sich, mir zu helfen. Fast alle sprachen mehr oder weniger deutsch . Es entstand ein förmlicher Wettbewerb in Sprachen. Der sechzigjährige Klement Nikifrewitsch schlug sie aber alle. Er zitierte aus den deutschen Klassikern, und einmal zeigte er mir voller Stolz ein kleines, selbst­gefertigtes Heft mit lateinischen Zitaten. Da saß ich zwischen den aus­gemergelten Menschen, die schon drei, vier und mehr Jahre Haft hinter sich hatten. Allen sah man den Hunger an. Die Backen waren eingefallen, die Augen unnatürlich groß, fast alle hatten Zahnlücken, denn in Karaganda gab es kein Plombieren, da wurden schmerzende Zähne her­

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