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an. Nachdem wir eine Weile herumgestanden hatten, kam wieder einer zu uns und fragte, man könnte fast sagen, höflich: ,, Wollen Sie vielleicht Säcke abladen?" ,, Ja, wenn sie nicht zu schwer sind", erwiderte ich. ,, Nein, es sind kleine Säcke." In einem Waggon waren ungefähr vierzig Pfund schwere Säcke mit zerschlagenem Hutzucker. Wir machten uns, angezogen durch den köstlichen Inhalt, sofort daran, das Lastauto vollzuladen, wobei uns die Männer munter halfen. Als der Wagen voll war, forderten sie uns auf, hinten aufzusitzen und über den Zucker zu wachen. Grete Sonntag und ich waren förmlich im Fieber.„ Wie machen wir es nur, um etwas von diesem Zucker zu stehlen!" Das Lastauto fuhr los. Nach einer kurzen Strecke hielt es in der Nähe einiger Lehmhütten, wo Kasaken wohnten. Die Männer und der Soldat stiegen ab. Einer wandte sich an uns mit einem verschmitzten Lächeln: ,, Paßt auch gut auf den Zucker auf, bis wir wieder zurückkommen!" Und wie haben wir aufgepaßt! Wenn die Säcke nicht aufgehen wollten, bohrten wir einfach ein Loch hinein und steckten uns den Zucker in alle Taschen, in die Hosen und wo es sonst nur einen Platz gab. Leider waren wir noch Neulinge und nahmen viel zu wenig, wir hatten schrecklich Angst, man würde im Lager eine Körpervisitation vornehmen. Als wir dort ankamen, erfolgte gar nichts, nicht einmal abladen brauchten wir, da waren schon genug andere Interessenten, die ebenfalls klauen wollten. Dann saßen wir in der Badestube und lutschten mit Hingabe unseren geraubten Zucker.
Noch zwei weitere Tage bettelten wir um eine Schlafstelle, endlich kriegten wir einen Platz, eine ausgehängte Tür wurde über zwei Holzböcke gelegt. Das war das Bett für Grete Sonntag und mich. Benachteiligt war nur der, der auf das eiserne Türschloß zu liegen kam. Später mußten wir uns beim Leiter der Finanzabteilung melden, um eine Arbeit zugeteilt zu bekommen. Seinen Namen habe ich vergessen, aber ich werde mich mein Leben lang an seine Menschlichkeit erinnern. Er war ein politischer Häftling. ,, Ihr seid beide Deutsche? Was wollt ihr denn für eine Arbeit machen?" fragte er freundlich. ,, Das ist nicht so einfach mit uns. Grete Sonntag kann gar nicht russisch, und ich kann es auch nicht sehr gut." ,, Ja, aber ihr seid doch kultivierte Menschen, ihr könnt doch nicht irgend eine schmutzige Arbeit machen. Da werde ich euch mal zu Konstantin Konstantinowitsch schicken, das ist der Natschalnik des Büros der Reparaturwerkstatt für landwirtschaftliche Maschinen, da könntet ihr dann beide im Büro als Lehrlinge anfangen." Wir bedankten uns sehr und machten uns auf den Weg zur Reparaturwerkstatt. Unterwegs grollte Grete Sonntag zwar mit mir: ,, Das ist ja unsinnig, ich will nicht im Büro arbeiten, ich bin eine Arbeiterin und keine Angestellte. Es wäre lächerlich, wenn sich hier für mich, eine Lederarbeiterin, keine Beschäftigung finden sollte. Wo es so viel Vieh gibt, müssen doch auch Felle verarbeitet werden." Ich versuchte sie zu beruhigen:„, Laß man, im
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