während sie zwar Kriminelle, aber doch gute Sowjetbürger sind. Ebenso, tief verachten die ,, großen Kriminellen" die sogenannten ,, Kusotschnikis" ( Stückwerkler), die kleinen Gelegenheits- und Taschendiebe.
Im Sammelpunkt von Karaganda erschien mir dieses Leben und Treiben der Kriminellen noch sehr romantisch. Der große Barackenraum war nachts von einer Petroleumfunzel erleuchtet. Auf den mittleren Brettern, in der zweiten Etage, saß eine ganze Gruppe von Männern und Frauen und spielte Karten. Die Frauen trugen trotz der ziemlich niedrigen Temperatur nur Büstenhalter und Höschen. Um den Kopf hatten sie auf eine ganz besondere Manier bunte Tücher schief über die Stirn gewunden, und die Enden hingen malerisch an der Seite herunter. Man erzählte mir, daß sie oft ihre sämtlichen Kleider verspielten und natürlich gezwungen waren, sich neue zu stehlen. Wodka gab es bei ihnen immer, und auch an Essen mangelte es nicht.
Laut Lagerordnung ist es streng verboten, daß ein Männerhäftling die Frauenbaracke betritt und umgekehrt. Wenn die Nachtwache, die um Mitternacht durch die Baracken geht und mit einer Lampe die Reihen der Schlafenden ableuchtet, einen Mann findet, so wird er unter großem Krach festgenommen und in Arrest gesteckt. Aber dieses Gesetz gilt nicht für alle Häftlinge. Ich habe oft gesehen, daß Kriminelle unangetastet zwischen Frauen lagen. Es bestand darüber ein stillschweigendes Einvernehmen zwischen Bewachungsmannschaft und Kriminellen.
Im Sammelpunkt fand die ärztliche Untersuchung der Häftlinge auf ihre Arbeitstauglichkeit statt. Man stand in endlosen Schlangen. Wenn man an der Reihe war, wurde nach Namen, Häftlingsnummer und Straftat gefragt und dann forderte der Arzt einen auf: ,, Zeigen Sie mal Ihr Bein!" Man stellte den Fuß auf eine Bank, der Arzt betastete das Schienbein und dann trug er ein, ob man erste, zweite oder dritte Kategorie sei, das heißt für schwere, mittlere oder leichte Arbeit zu verwenden. Mein Bein war leider erste Kategorie.
Im Sammelpunkt wurde ein reger Handel mit Kleidungsstücken betrieben. Man bot bis zu zwanzig Rubel für einen Pullover. In manchen Gefängnissen hatten die Häftlinge beim Abtransport ihr Geld ausgezahlt bekommen. Viele waren nur notdürftig bekleidet. Die Ernährung war hier noch schlechter als im Quarantänepunkt. Es gab nur einmal täglich eine dünne Sojasuppe und eine kleine Brotration.
Täglich wurden Transporte in die verschiedenen Abschnitte des Lagers zusammengestellt. Ich kam mit ungefähr achtzig Männern und Frauen, unter ihnen Grete Sonntag, Stefanie Brun, Rebekka Sagorje und Nadja Bereskina, in eine Gruppe, die dem Rayonabschnitt Burma zugeteilt wurde. Beim Abtransport wurden wieder alle Sachen gründlich untersucht. Solchen, denen es geglückt war, sich eine Konservenbüchse oder einen Napf für die Suppe zu organisieren, wurde er wieder abge
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