breit gemacht und beanspruchten jede ein Gepäckbrett für sich, auf dem vorher je zwei Frauen gelegen hatten. Als wir dagegen protestierten, keiften sie:„ Kommt uns nicht zu nahe! Wir haben Tripper und Syphilis!" Keine von uns war diesen Megären gewachsen, also mußten wir uns noch enger zusammenpressen.
Schon lag der Ural hinter uns. Durch einen Posten hatten wir erfahren, daß das Ziel unserer Reise Karaganda sei. Die Schwangeren, die Offiziersfrauen und die Alte kamen nach Akmolensk, einem Lager für ,, Ehefrauen". Eine wußte zu erzählen, daß die Bedingungen dort besser seien als in Karaganda . Noch einmal wurde unsere Reise unterbrochen. Man lud uns in Petro- Pawlowsk aus. Auch das dortige Gefängnis war überfüllt und verschmutzt. Nur staunten wir über das lockere Gefängnisregime. Da schloß die Aufseherin nicht einmal die Zelle ab, und wir durften nach Belieben auf den Korridor hinaus. Das mutete uns Moskauer ganz sonderbar an.
Und weiter ging es. Auf dem Bauch liegend, konnte ich durch das Fenster im Gang blicken. Seit Tagen schon sah man nichts als Schnee, eine unübersehbare Fläche, keinen Baum, keinen Strauch, keine Häuser. Wir fuhren durch die südsibirische Steppe, durch Kasakstan. Bald sollten wir in Karaganda sein, dem Ziel unserer Reise. Wieviel tausend Kilometer trennten uns nun schon von Moskau und welche unüberwindliche Strecke von zu Hause, von den Menschen, die wir liebten, von unserer Heimat! Ich lag, das Gesicht ans Gitter gepreßt, und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten in hoffnungsloser Verzweiflung.„, Satschem platschesch?"( Warum weinst du?) fragte der Wachposten, blieb am Gitter stehen und begann mich zu trösten:„ ,, Es wird nicht so schlimm, du kommst auch mal wieder nach Hause."
6. ANKUNFT IM SIBIRISCHEN KONZENTRATIONSLAGER
KARAGANDA
Am Abend wurden wir auf dem Güterbahnhof in Karaganda ausgeladen, ungefähr hundert Menschen, Männer und Frauen. Es war Glatteis, und die entkräfteten Menschen mit ihren Bündeln purzelten nur so über die Schienen. ,, Dawaj, dawaj!" brüllte die gereizte Bewachungsmannschaft und fuchtelte mit ihren Bajonetten herum. Wir wurden über einen großen Platz getrieben, auf ein strahlend beleuchtetes Holztor zu, an einem gespenstisch beleuchteten hölzernen Wachturm und einem langen Stacheldrahtzaun vorbei. Das Kommando ,, Stoj!" erschallte, und wir traten einzeln unter Verlesen von Name, Häftlingsnummer und Straftat in den Quarantänepunkt des Konzentrationslagers Karaganda ein. Diese Prozedur dauerte stundenlang. Frierend hockten wir auf unseren Bündeln, dann ging es in die Badestube. Alle Kleidungsstücke
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