Element, fünf Jahre." Noch ging es stockend, aber im Laufe der näch­sten Jahre lernte ich es herunterschnarren.

Unter Gebrüll und Gestoße erklommen wir das hohe Trittbrett des Stolypin- Waggons, eines normalen russischen Eisenbahnwagens, nur waren die einzelnen Abteile mit Schiebegittern gegen den Gang abgesperrt. So ein Coupé" hat fünf Liegeplätze, wenn man die Gepäckbretter dazu­rechnet sieben. Man stopfte uns sechzehn Frauen in ein Abteil. Neun mußten eng zusammengepreẞt mit dem Gesicht dem Gitter zugewandt liegen. Die anderen saßen unten auf den Bänken. Der Transport nach Sibirien dauerte wochenlang, und nur in zwei Etappengefängnissen wurde Station gemacht. In so einem Gefangenenabteil gab es kein Fenster und keine Beleuchtung, sondern nur eine schlecht funktionierende Lüftungs­klappe an der Decke. In allen übrigen Abteilen des Waggons lagen Männerhäftlinge. Hier wurde schon nicht mehr geflüstert, sondern seinem Unwillen laut Ausdruck verliehen. Es fluchte die Begleitmann­schaft, es fluchten die Häftlinge zurück. Beim Austeilen von Brot und Tee stellte sich heraus, daß es keine Trinkgefäße gab, denn im Gefäng­J nis hatte man alles Geschirr abgenommen. Endlich fand sich eine kleine verrostete Konservenbüchse, aus der wir alle sechzehn tranken. Die Transportverpflegung bestand aus täglich 600 Gramm Schwarzbrot, einem getrockneten Salzfisch in der Größe eines Bücklings und dreimal täglich Tee mit je einem Stück Zucker. Das war alles. Der Fisch war so hart wie ein Stück Pappe und sein Fleisch dunkelrot vor Salz. Hatte man ihn vor Hunger verspeist, so kam man um vor Durst. Je weiter wir uns von Moskau entfernten, um so spärlicher wurde der Reiseproviant. Zuerst verschwand der Zucker, dann die Teeblätter im heißen Wasser, und zu­letzt gab es nur noch einen halben Salzfisch. Und die Begleitmannschaft wurde von Tag zu Tag nachlässiger und fauler. Sie hatten keine Lust, Teewasser zu holen, also mußten wir dürsten. Den ganzen Tag über schrien und bettelten die Gefangenen: Towarisch natschalnik, daj woditschku! Daj tschajku!"( Genosse Natschalnik, gib uns Wasser, gib uns Tee!) ,, Schweigt! Auf der nächsten Station werden wir was holen", antwortete der gleichmütig vor dem Gitter patrouillierende Soldat.

92

Schlimmer noch stand es mit dem Austreten. Der Waggon war mehr als doppelt überbelegt. Es gab nur ein Klosett, und die Posten wollten die Häftlinge nicht den ganzen Tag hin- und herführen. So verfügten sie: ,, Dreimal am Tag kommt ihr raus und jeder nur zwei Minuten!" Während dieser zwei Minuten blickte der Soldat interessiert durch den ,, Spion" in der Klosettür. Wir waren wohl vier oder fünf Tage unter­wegs, als ich bei dieser Gelegenheit die Nerven verlor und den harmlos grinsenden Soldaten mit allen deutschen Flüchen bedachte, die mir ein­fielen. Das hat ihn aber gar nicht beeindruckt. Die Männerhäftlinge

63