mahl Leonardis da Vincis erinnerte, war von der kühlen Nachtluft gerötet. Manchmal klang von weitem ein„ Stoj!"( Halt) von den Wachtürmen des Gefängnisses, sonst hörte man nicht einmal unsere Schritte im weichen Schnee. Da kam durch die Nacht das eindringliche Weinen eines neugeborenen Kindes. Unsere Schritte stockten, und wir suchten mit den Blicken, woher es käme, wo hier im Gefängnis ein Säugling sein könnte? Es kam aus dem Pugatschew- Turm. Wir standen und lauschten diesen so menschlichen Tönen, und unsere Aufseherin ließ uns gewähren, vergaß sogar ,, Ruki nasad" zu kommandieren. Über uns im Turm waren verhaftete Mütter mit neugeborenen Kindern.
5. TRANSPORT NACH KASAKSTAN
Wir acht Frauen begannen uns auf den Transport nach Sibirien vorzubereiten. Auf den Zentralheizungsrohren trockneten wir Brot. Jede nähte sich aus irgendwelchen Fetzen Stoffsäckchen in verschiedenen Größen. Über die Zukunft wurde selten gesprochen. Alle erzählten von ihren Kindern. Die, deren Kinder noch klein waren, hatten weniger Sorgen als die Mütter von schon erwachsenen Töchtern oder Söhnen. Stefanie Brun quälte sich Tag und Nacht mit dem Gedanken, ob ihre sechzehnjährige Tochter nicht auch verhaftet worden sei, denn nach dem Sowjet- Gesetz werden auch erwachsene Kinder für die politischen Vergehen ihrer Eltern verantwortlich gemacht.
Dann kam der Tag des Abtransportes aus Butirki. Wir kamen mit unseren Bündeln in eine sogenannte Abgangszelle, erhielten unsere Handtaschen und Koffer zurück, aus denen Wertgegenstände und Geld herausgenommen waren, dafür bekamen wir aber sorgfältige Quittungen ausgehändigt. Auch die Trinkbecher und Schüsseln wurden uns fortgenommen und noch einmal eine gründliche Körpervisitation nach irgendwelchen Mordinstrumenten durchgeführt. An einem Spätnachmittag bestiegen wir in einem Hofe des Untersuchungsgefängnisses den ,, Schwarzen Raben". Ich war die letzte, und es war keine freie Zelle mehr im Wagen. Im Dämmerlicht bemerkte ich hinter einem Gitter, das den Wagen in zwei Hälften teilte, Männerhäftlinge. Ich erfuhr, daß unter ihnen zwei Deutsche waren. Sie kamen sofort ans Gitter, und ich sah die ersten Männer in Lagerkleidung mit durchsteppter Wattejacke und-hose und runder Ohrenklappmütze. Die beiden waren Lehrer an der ,, KarlLiebknecht- Schule" in Moskau gewesen, Litten und Gresitzki, und hatten bereits zweieinhalb Jahre Konzentrationslager hinter sich. Jetzt waren sie nach einer neuerlichen Untersuchungshaft von sieben Monaten auf dem Wege zurück nach Sibirien , um ihre weiteren zweieinhalb Jahre abzubüßen. Wir kommen jetzt in den Peresylny- Waggon, wo man die Transporte nach Sibirien zusammenstellt, da werden wir dir erzählen, was wir hinter uns haben. Aus den Zellen riefen die Frauen, ob die
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