Beweise dafür zu erbringen. Mein Untersuchungsrichter hat von der Tat­sache, daß ich als einfaches Parteimitglied der KPD keine Ahnung von den Differenzen im Politbüro der Kommunistischen Partei Deutschlands haben konnte, keinerlei Notiz genommen. Er hat weder versucht, mir zu beweisen, daß ich in der KPD in Opposition war, noch daß ich je­mals irgendwann und irgendwo konterrevolutionäre Agitation und Organisation gegen den Sowjetstaat betrieben habe, Wie kann man zu Kontschanije sljetstwo kommen, ohne ein Gerichtsverfahren gemacht zu haben? Wie kann man mich für schuldig befinden, ohne es bewiesen zu haben?

Der alte Untersuchungsrichter hörte sich meine Einwände an, gab aber keine Antwort auf meine Fragen, sondern erklärte: ,, Ich habe den Eindruck, daß in Ihrer Sache ein Irrtum vorliegt. Doch bin ich überzeugt, daß sich alles aufklären und für Sie ein gutes Ende nehmen wird." Er sprach in ruhigem, väterlichem Tone und gewann immer mehr mein Ver­trauen. Warum soll ich ihm eigentlich nicht glauben? Ist nicht vielleicht die ganze Verhaftung ein Irrtum? Und als er dann begann, ein neues Protokoll zu schreiben, Wort für Wort so, wie ich es wünschte, mich immer wieder fragte, ob ich auch einverstanden sei, hatte ich schon keinen Zweifel mehr an einem guten Ausgang. Das Protokoll war be­endet, und er reichte mir das erste Blatt zur Unterschrift. In diesem Moment kamen alle Zweifel und alles Mißtrauen zurück: ,, Nein, ich werde nicht unterschreiben." ,, Ich ,, Aber weshalb denn nicht?" traue Ihnen nicht." Mit purpurrotem Kopf sprang mein wolgadeutscher Untersuchungsrichter auf und fuchtelte mit der Faust: ,, Wie können Sie es wagen, in einem solchen Ton mit einem Staatsanwalt der Sowjetunion zu sprechen!" Der Alte griff begütigend ein, forderte mich nicht weiter auf zu unterschreiben, sondern drückte auf den Knopf. Es klopfte, ein Soldat erschien in der Tür, und zurück ging es durch die nun schon be­kannten Gänge, begleitet von dem Klappern des Vierkantschlüssels auf dem Koppelschloß.

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Inzwischen war es Herbst geworden. Am engmaschigen Gitter, das die Kästen vor den Fenstern nach obenhin abschloß, rieselte der Regen herab. Tage und Tage sahen wir keinen Himmel. Einmal sollten wir Bücher bekommen. Ich bat Tasso, uns ein deutsches Buch zu bestellen, da zwei von uns nicht russisch lesen konnten. Wir erhielten einen Band Brentano mit Gockel, Hinkel und Gackeleia" und seinen herrlichen Gedichten. Käthe Schulz und ich suchten eins aus, das uns am besten gefiel. Wir lernten es auswendig, um etwas zu haben, das sich für immer mit unserer Haft in Butirki verband und um uns nie zu vergessen. Da saßen wir Rücken an Rücken und lernten. Dann sagte es einer dem anderen auf.

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