Anklage gemeint sei. Eine entsetzliche Angst quälte mich, die NKWD könnte irgend etwas über meine Gespräche mit Freunden wissen. Dieses zweite Verhör unterschied sich von dem ersten dadurch, daß mein Untersuchungsrichter zwei Zigaretten rauchte, bevor er mich mit Drohungen und Verwünschungen wie ,, ich könnte in Untersuchungshaft schwarz werden" zurück in die Zelle bugsieren ließ. Ich zerbrach mir den Kopf, auf welches Material sie diese Anklage aufgebaut haben möchten. Aber schon beim dritten Verhör hatte es mein Untersuchungsrichter satt, es wurde ihm wohl zu langweilig mit mir. ,, So, jetzt werde ich es Ihnen sagen, wo und wann Sie konterrevolutionäre Organisation und Agitation gegen den Sowjetstaat betrieben haben. Sie wollen doch nicht etwa leugnen, daß Sie im Jahre 1931/32 in der Kommunistischen Partei Deutschlands in Opposition gewesen sind?"
..Ich war in der Kommunistischen Partei Deutschlands niemals in Opposition." Und noch bevor er mich anschnaufen konnte, fuhr ich fort und machte einen nicht wieder gutzumachenden Fehler. ,, Aber was hat eine oppositionelle Einstellung in der KPD eigentlich mit konterrevolutionärer Organisation und Agitation gegen den Sowjetstaat zu tun?"
Da brach mein Wolgadeutscher in ein hysterisches Geschrei aus: ,, Sie sind nicht nur eine Konterrevolutionärin, Sie sind auch eine Trotzkistin!"
Aus den nächsten Fragen sah ich, daß meine Anklage die nämliche sein mußte wie die meines Mannes. ,, Was wissen Sie über die Fraktionstätigkeit Heinz Neumanns?" Natürlich wußte ich nichts davon, versuchte zu erklären, daß ich als einfaches Parteimitglied der KPD keinen Einblick und keine Kenntnis hatte von den Auseinandersetzungen, die sich im Zentralkomitee und im Politbüro der Kommunistischen Partei Deutschlands abgespielt haben. Während dieser Fragen und Antworten wurde mir klar, daß ich nur ein Anhängsel, nur ein ganz unbedeutender ,, Fall" sein mußte. Der Untersuchungsrichter schien bloß den einen Wunsch zu haben, die Sache so schnell wie möglich zu Ende zu bringen. Aber zu welchem Ende?
Er begann das Protokoll aufzusetzen. Seine Handschrift glich der eines Buchhalters aus Gustav Freytags ,, Soll und Haben", und die Sätze, die er formulierte, waren im selben Stil. Im Protokoll gab es Fragen wie: ,, Haben Sie teilgenommen an der Fraktionsarbeit Heinz Neumanns in der KPD ? Waren Sie in der Opposition?" ,, Mit wem haben Sie in Moskau verkehrt?" ,, Welche politischen Gespräche fanden in Ihrem Zimmer im Hotel, Lux' statt?", Wer pflegte Ihren Mann zu besuchen?"
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Ich beantwortete alle Fragen in meinem Interesse mit Ja oder Nein.
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