Schaftstiefeln, ins englische Konsulat. Dort bat sie, man möchte ihr die Ausreise nach England ermöglichen, sie habe dort eine Tante. Man ver­sprach im Konsulat, sich zu erkundigen und verabschiedete sie höflich. Auf der Straße wurde sie von der NKWD verhaftet.

Sie redete nicht über das, was mit ihr in der Lubjanka geschehen war, nur ihr Gesicht und ihr Schweigen verrieten es. Als ich sie das erstemal nackt in der Badestube sah, erschrak ich vor der Leichenfarbe ihres Körpers und dem aufgelockerten Fleisch. Das war sicher eine Folge von Skorbut . Man konnte ihr die neun Jahre KZ ansehen!

Nach kurzer Zeit wurde die Lehrerin mit Sachen aus der Zelle ge­holt, und wir vergaßen sie. Mehrere Wochen vergingen, da kam wieder­um ein ,, interessanter" Zugang. Alle knieten auf den Brettern. ,, Was ist denn das für eine? Ein Papuaneger?" Erschöpft sank eine Frau auf die Bretter. Die Haare standen ihr in einem Wust um den Kopf. ,, Bitte, gebt mir etwas Wasser!"

Da erkannten wir unsere Lehrerin wieder. Nach vierzig Tagen Dunkelarrest kam sie zurück in unsere Zelle. Vierzig Tage nicht ge­waschen, nicht gekämmt, bei Wasser und Brot im Dunkeln. Man wollte sie dadurch zwingen, auszusagen, was sie in der englischen Botschaft erzählt habe. Wir bemühten uns, ihr die Haare auszukämmen, aber es war vergeblich, sie mußten abgeschnitten werden. Gar nicht lange danach verließ sie unsere Zelle und kam nie wieder.

4. VERHÖRE UND URTEIL

,, Margarita Genrichowna Buber- Nejman, bjes weschtschei!"( B.-N. ohne Sachen!) ertönte es eines Nachts durch die Zellenklappe. Keiner meldete sich. Erstens schlief ich fest und außerdem reagierte ich auf diesen merkwürdigen Namen noch nicht. Mit einigen Stößen brachten mich meine Nachbarinnen in die graue Wirklichkeit zurück. Die Haare zerwühlt, die Schuhe nicht richtig zugemacht, stolperte ich über die Schlafenden hinweg zur Tür. Draußen auf dem Korridor standen die Aufseherin und ein Soldat. Er fragte mich nach meinem Namen und forderte mich auf, ihm zu folgen. Plötzlich fühlte ich mich am Arm ge­packt, machte einen Versuch, mich loszureißen, aber mit Polizeigriff stieß mich der Posten wie einen Schwerverbrecher vor sich her. Eine Treppe kam, mein Herz schlug zum Zerspringen. Der Treppenschacht war sorgfältig mit feinmaschigem Draht überspannt, damit sich lebens­müde Häftlinge nicht hinabstürzen können. Dann waren wir auf einem langen Korridor, die Schritte wurden durch Läufer gedämpft, die Türen hatten Klinken, es mutete ganz nach Freiheit an. Vor einer Tür wurde Halt gemacht, mein Arm losgelassen, der Soldat öffnete, und ich stand in einem Büroraum mit weitgeöffneten Fenstern, durch die der Geruch

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