einer anderen Zelle waren im Waschraum gewesen, als hinter den Kanalisationsrohren eine Ratte herausgesprungen war. Das hatte unsere Spioninnen, Terroristinnen und Konterrevolutionäre in solchen Schrecken versetzt, daß sie sich schier totgedrückt hätten.
Mit den acht Zugängen aus der anderen Zelle kam auch Franziska Levent- Levith, eine Deutsche. Sie stammte aus Danzig , war die Tochter eines dortigen Kapellmeisters und hatte sich mit dem Russen LeventLevith verheiratet. Ihr Mann arbeitete im russischen Spionageapparat. Die letzten Jahre hatten sie in England verlebt. 1937 hatte man ihren Mann nach Moskau zurückberufen. Er hatte eine Nacht im Hotel ,, Metropol" gewohnt und war am nächsten Tag zusammen mit seiner Frau verhaftet worden. Franziska kam also ohne eine Vorstellung vom russischen Leben, ohne ein Wort russisch zu sprechen ins Untersuchungsgefängnis Butirki. Sie war eine große, blonde Frau, und man sah ihr bereits diese wenigen Monate Untersuchungshaft an. Alles war schlaff an ihr, sogar die Backen hingen herunter. Als ich die ersten Worte mit ihr wechselte, ihr ins Gesicht blickte, hatte ich das Gefühl: um Gotteswillen, das ist eine Wahnsinnige. Ihre Augen konnten keine Sekunde stillstehen, sie liefen hin und her, so als ob sie einem vorbeifahrenden Zuge folgten, und dann begann Franziska aufgeregt zu flüstern: ,, Weiẞt du, ich muß dir etwas erzählen. Meine erste Zelle war eine Schule für illegale Arbeit. Und ich habe meine Prüfung nicht bestanden. Da mußte man nämlich ein Examen machen, ob man sich für Spionagetätigkeit eignet." ,, Aber Franziska, sowas gibt's doch gar nicht, das ist ja Unsinn!" redete ich ihr zu. ,, Du weißt das bloß nicht, hier gibt es ganz besondere Zellen, da sind solche drin, die nur zu diesem Zweck verhaftet wurden. Wenn man die Prüfung besteht, dann kommt man wieder heraus und wird zu einer neuen Arbeit kommandiert. Aber ich habe die Prüfung nicht bestanden. Da mußte man ganz merkwürdige Dinge wissen, die ich nicht begreifen konnte; z. B. haben sie da an ihren Aluminiumbechern Bändchen in ganz verschiedenen Farben, rote, blaue, grüne, rosa, und ich hätte eine ganz bestimmte Farbe wählen müssen, die man mir zugedacht hatte. Das konnte ich überhaupt nicht begreifen. Darum wurde ich immer ausgelacht."( Die Häftlinge versehen die völlig gleichen Aluminiumbecher mit Zeichen, um sie beim Verteilen von Tee wiederzuerkennen.)„ ,, Ebenso war es beim Spaziergang mit dem kleinen und großen Kreis. Da gab es die Tage für den großen und die für den kleinen Kreis. Und dann machten sich die anderen immer Zeichen in Erwartung eines neuen Fehlers, den ich begehen würde. Auch in den Bibliotheksbüchern fand man geheimnisvolle Chiffren. Da hatte man die Pflicht, sie zu entziffern. Nichts habe ich gekonnt! Und nun werde ich zur Strafe verurteilt!"
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