schwinden! Da stürzten sie dann zum Kübel, um alle möglichen Gegen­stände wegzuwerfen. Es scheint fast unglaublich, was sich Häftlinge trotz strengstem Verbot alles anfertigen. Man besaß zwar einen Blechnapf, aber die Frauen hatten ein Bedürfnis nach mehr ,, Geschirr". Und woraus wurde das hergestellt? Aus weichem Schwarzbrot, das man gut mit Spucke vermengte, und daraus knetete man Schalen, die dann ge­trocknet wurden. Sehr beliebt waren Schachfiguren aus Brot. Die weißen werden mit Zahnpulver angestrichen. Selbstverständlich verbot die Ge­fängnisordnung auch Schachspielen.

Dann torkelten die einhundertzehn leise vor sich hinfluchend aus der Zelle heraus in einen besonders für die Durchsuchung bestimmten Raum. Und die Prozedur begann. Zuerst Körpervisitation und dann Durchsuchung der Sachen. In Erinnerung an die erste Erniedrigung brach mir jedesmal der Schweiß aus. Da wird dir mit der Taschenlampe in den Mund geleuchtet, desgleichen in die entgegengesetzte Körper­öffnung. Die Achselhöhlen sind auch sehr verdächtig, spitze Gegenstände zu beherbergen. Man suchte nach Glasscherben, Konservenbüchsen­deckeln, Metallstücken, Messern, Spiegeln usw. Natürlich auch nach Kassibern oder irgendwelchen Papierfetzen. Das nahm die lächerlichsten Formen an. An meiner Wäsche waren ausländische Fabrikmarken, die die kontrollierende Aufseherin wahrscheinlich für Geheimzeichen hielt und sorgfältig abtrennte. Das gleiche geschah mit jedem Stückchen Gummiband. Daran könnte man sich vielleicht aufhängen. Ja, auch die Schuhe wurden besonders vorgenommen. Da gab es gemeine Auf­seherinnen, die einfach die Sohlen losrissen. Dann hattest du eben in Sibirien eine Schlappsohle. Diese Schikane dauerte viele Stunden.

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Manchmal, wenn unter den Frauen ein Streit ausbrach, wuchs das Flüstern zu einem Brausen an. Dann schlug die Aufseherin mit ihren Schlüsseln gegen die Eisentür oder öffnete die Klappe und drohte mit Zellenstrafen. Dieses Pochen, auch an den anderen Zellentüren, war das einzige, was man vom Korridor her hörte. Eines Morgens aber, die Zelle erstarrte in Schweigen, vernahmen wir vom Gefängniskorridor her gellende Hilferufe wie von hunderten Frauen in Todesangst. Dann hörte man wütende Stimmen von Aufsehern, und langsam erstarben die Ge­räusche. Wir zerbrachen uns den Kopf. ,, Hatte eine Zelle gemeutert? Hatte man die Häftlinge gequält? Was war geschehen?" Wir erfuhren nichts. Das Gefängnisregime in Butirki funktionierte vorzüglich. Nie­mals drang eine Nachricht aus einer anderen Zelle zu uns, niemals be­gegnete man Häftlingen aus einer anderen Zelle auf dem Korridor.

Nach einiger Zeit kam zu uns eine aufgeteilte Zelle, und dabei er­fuhren wir die Ursache dieser furchtbaren Schreie: hundert Frauen aus

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