Tasso Salpeter war die Frau des Natschalniks der Leibwache Stalins . Ihr Mann stammte aus Lettland . Salpeter bekam nach der Verhaftung Jagodas, des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten und Chefs der GPU, dessen Wohnung zugewiesen. Sie war völlig eingerichtet. Tasso, ihr Mann und ein gemeinsamer Freund gingen durch die Räume, um sie sich anzusehen. Sie kamen in ein Zimmer, das in mittelasiatischem Stil, mit Teppichen an Wänden und auf dem Fußboden gehalten war. Auf einem der Wandteppiche, über dem Divan, hing ein Bild Stalins. Tasso zeigte auf das Bild und sagte zu ihrem Mann gewandt: ,, Das muẞ da weg!"
Einige Tage darauf wurden Salpeter und Tasso verhaftet. Als Tasso zum Untersuchungsrichter kam, gab man ihr als Grund der Verhaftung diesen Ausspruch an, den Tasso aber energisch leugnete. Ich muß einfügen, daß der wirkliche Grund der Verhaftung von Salpeter und Tasso natürlich nicht diese Äußerung war. Tassos Mann wurde wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Liquidierung des Stabes der alten Offiziere der Roten Armee und der Erschießung der Marschälle der Sowjetunion beseitigt, und Tasso wäre sowieso als seine Frau verhaftet worden. Aber ich habe immer wieder feststellen müssen, daß der NKWD daran gelegen ist, jeden noch so unschuldigen Verhafteten unter Anklage zu stellen, sozusagen der erfolgten Verhaftung nachträglich eine Berechtigung zu geben. Die Anklagen gegen die sogenannten politischen Verbrecher variieren zwischen ,, konterrevolutionärer Agitation",„ konterrevolutionärer Organisation" manchmal auch beides zusammen-, oder Vorbereitung zum bewaffneten Aufstand"," Vorbereitung des Terrors" und ,, Spionage". Da hörte ich einmal von folgender, wörtlich formulierter Anklage: Spionage für irgendein Land". Unter den hundertzehn Frauen der Zelle 31 gab es nur diese fünf Varianten.
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Aber zurück zu Tassos Anklage. Sie leugnete bei allen ihren Verhören, je den erwähnten Ausspruch getan zu haben. In der Zeit unserer gemeinsamen Haft wurde Tasso nur selten zum Verhör geführt. Noch im Untersuchungsgefängnis wurden wir voneinander getrennt, aber wir trafen uns ein Jahr später im Konzentrationslager Karaganda , und da erzählte sie mir den weiteren Verlauf ihrer Untersuchung. Eines Nachts holte man sie aus der Zelle und sperrte sie in Dunkelarrest. Sie wußte, daß das eine Maßnahme des Untersuchungsrichters sei, der sie zu einem Geständnis zwingen wollte. In dem Loch, in das man sie steckte, gab es weder Fenster noch Sitzgelegenheit. Sie mußte am Boden hocken, ständig im Dunkeln und erhielt als Ernährung Wasser und Brot. Über der Tür war ein Lüftungsloch. Und eines Tages warf man mit einem Projektionsapparat durch diese Öffnung Bilder an die gegenüberliegende Zellenwand. Russische Landschaften, dann kaukasische. Tasso war nämlich Georgierin. Dabei begann eine Musik kaukasische Volkslieder zu spielen.
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