oder Untersuchungsrichter einzureichen, worauf dann fast nie reagiert wird. Man hat die Gefängnisordnung genau zu befolgen, sonst ist man undiszipliniert und schadet der Gemeinschaft, man hat auf den unebenen Brettern ohne Strohsack, ohne Decke, ohne Kopfpolster zu liegen, man hat sich mit ungefähr dreißig Zentimeter Platz zu begnügen. Wehe, wenn einer wagt, bei der Gefängnisverwaltung gegen diese ungeheuerlichen Zustände zu protestieren. Dann wird er von der großen Menge der russischen Häftlinge verachtet und verurteilt.

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Besonders im Gedächtnis blieben mir die Frauen, die nach mir kamen, also die Zugänge". Aus einem Provinzgefängnis wurde eine Mathematikstudentin eingeliefert. Sowie sie auf den Brettern saẞ, schlief sie auch schon. Zum Austreten mußte man sie mit Gewalt wecken. Sie schien bewußtlos vor Müdigkeit, und dann sahen wir beim Waschen ihren Körper. Schwarze Striemen liefen über Gesäß und Oberschenkel. Auch die dicke Lettin mit den aufgeregten Augen hatte man beim Ver­hör blau geprügelt.

Die russischen Mithäftlinge erklärten mir, schon in der Zellentür, beim Hereinkommen, könne man erkennen, ob es sich um einen Häft­ling in ,, eigener Angelegenheit" oder um eine Ehefrau" handle. Die Ehefrauen wissen nämlich schon bei der Verhaftung ihres Mannes, daß sie geholt werden und packen dann alles zusammen, was sie für Sibirien gebrauchen können.

Eines Tages kam wieder ein Zugang. Ein riesiges Bündel schob sich durch die Zellentür und hinterher kam eine rundliche, hübsche Brünette mit Gretchenfrisur. Schluchzend warf sie sich auf die Bretter: ,, Satschem!? Satschem!?"( Weshalb!? Weshalb!?) Voller Mitgefühl blickte ich auf sie. Die Gymnastiklehrerin neben mir bemerkte bissig: Die typische Ehe­frau. Wart nur acht Tage ab, da wird sie sich getröstet haben und in Sibirien im Handumdrehen einen Lagermann nehmen. Die Sorte kenne ich!" Nach einer Weile schluchzenden ,, Satschem" schrie sie plötzlich: ,, Moji Kowry, oh boshe, moji kowry!!"( Meine Teppiche, oh Gott, meine Teppiche!) Ich fragte: Was heißt denn das?" ,, Nach ihren Teppichen brüllt sie jetzt", erläuterte meine Nachbarin. Später erfuhren wir, daẞ sie zu Hause ein dreijähriges Kind gelassen hat, aber dem galten keine schmerzlichen Rufe.

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Ich war noch nicht lange in Butirki, als Tasso zu mir kam und mir zuflüsterte: Du mußt vorsichtiger sein mit deinen Äußerungen. Führe keine politischen Gespräche mehr. In der Zelle sind Spitzel." Damit be­gann eigentlich unsere Freundschaft, und so nach und nach erfuhr ich ihre Anklage.

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