anderen Stricksachen. Denn damit konnte man sticken. Unter den Russinnen waren Meisterinnen in diesem Fach. Das Handtuchkleid wurde von der dicken Lettin, die immer von einer Gruppe zur anderen rutschte, mit Kreuzstich am Hals und um den Rock verziert. Mir ist es als eins der entzückendsten Sommerkleider- Modelle im Gedächtnis geblieben. Nach seiner Fertigstellung feuchtete man es leicht an, legte es sorgfältig zusammen und seine glückliche Besitzerin schlief die ganze Nacht über darauf. Am nächsten Morgen hatte es die schönsten Bügelfalten.
Natürlich ging es nicht immer so gut vonstatten wie mit diesem Kleid. Es gab wohl keine Woche, in der wir nicht erwischt wurden und eine neue Zellenstrafe bekamen. In der ganzen Zeit meiner Untersuchungshaft habe ich auf diese Weise nur zweimal Bibliotheksbücher erhalten.
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In der ersten Zeit konnte man das Essen nur mit großem Widerwillen herunterwürgen. Es gab an einem Tag Kohlsuppe, am nächsten Fischsuppe, dann wieder Kohlsuppe usw. Im Vergleich zur Ernährung im sibirischen Konzentrationslager war das Essen in Butirki großartig, nach der Freiheit aber kaum genießbar. Neben der Suppe gab es täglich ungefähr vierhundert Gramm russisches Schwarzbrot und zum Abend einen Brei aus Linsen, Gerste oder Buchweizen.
Langsam lebte ich mich ein in den Rhythmus des Gefängnisses: morgens austreten, mittags ,, Balanda"( Gefängnissuppe) und abends ,, Kascha"( Grütze). Zu den Freuden im Gefängnisdasein gehörte der Spaziergang. Zwanzig Minuten am Tag, manchmal auch in der Nacht, brauchte man nicht auf den Brettern hocken, konnte die Beine bewegen und Luft holen. Aber die Gefängnisordnung verstand es, einem auch dieses Vergnügen zu verekeln. Wenn man den engen Gefängnishof betrat, den hochaufstrebende Mauern einfaßten, wo kein Grashalm wuchs, ertönte das Kommando ruky nasad!"( Hände nach hinten!) ,,, Glasa vnisu!"( Augen niederschlagen!) Zwei koppeltragende Aufseherinnen bewachten den Spaziergang. Schweigend, paarweise ging es immer im Kreis herum, und die Schwachen gingen einzeln im kleinen Kreis. Immer wieder vergiẞt eine die Hände nach hinten" oder die„, niedergeschlagenen Augen". Versucht nur einmal in den Himmel zu blicken oder tief Atem zu schöpfen und die Arme im Takt der Schritte zu bewegen, dann keift schon ein Kommando über den Hof. Einmal saß eine Krähe auf dem Mauerrand. Gott , die kann hinfliegen, wohin sie will! Ob man nie wieder im Leben über eine Wiese gehen wird? Manchmal hörte man in der Ferne die Geräusche der Straße und einmal kam ein Flugzeug gerade über unsern Gefängnishof. Mit offenem Mund starrten wir hinauf, bis uns das ,, Ruky nasad!" zur Besinnung brachte. Das politische Untersuchungsgefängnis Butirki war so überfüllt, daß die zahlreichen Gefäng
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