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Kleidungsstückes erwischt wurde! Dann sette es Spaziergangsentzug, Einkaufssperre und Bibliothekssperre und immer gleich für die gesamte Zelle. Da saßen dann die Frauen am Fenster, umgeben von einer Mauer anderer Häftlinge, die sie vor der durch den Spion" blickenden Auf­seherin verbergen mußten. Häftlinge wissen sich zu helfen. Man fertigte sich die schönsten Nähnadeln aus Streichhölzern an.( Ich muß einfügen, daß es im russischen Gefängnis erlaubt war zu rauchen. Natürlich mußte man sich Zigaretten und Tabak selbst kaufen.) Man nahm ein Streichholz und rieb es an der rauhen Zellenwand( oder an einem Stück Kristall­zucker) sorgfältig und langsam von allen Seiten solange, bis es ganz dünn wurde. Dann wurde an dem einen Ende, ebenfalls durch Reiben, eine Spitze hergestellt und das andere mit dem Fingernagel vorsichtig eingekerbt. Da hinein klemmte man den Faden. Man kann sich vor­stellen, wieviele solcher Streichhölzer zerbrechen, bevor die Herstellung einer Nadel gelingt. Das war eine Sorte ,, Nähnadeln", die sich be­sonders zum Sticken eignete. Dann gab es noch eine raffiniertere: man opferte aus seinem Kamm einen Zahn und machte mit ihm die gleiche Prozedur wie mit dem Streichholz. Dann aber nahm man die geheiligte Zellennadel, für deren Verlust es schwere Zellenstrafen gab, machte sie über einem brennenden Streichholz glühend und brannte durch das stumpfe Ende ein Nadelöhr.

In unserer Zelle hat man sogar ein ganzes Kleid zugeschnitten und genäht. Da war eine Frau, die schon lange in Untersuchungshaft saß, auf der Straße verhaftet worden. Sie hatte nichts bei sich als das, was sie am Leibe trug. Das begann nun in Fetzen zu gehen. Einige Häft­linge, die Geld hatten, beschlossen, ihr zu einem Kleid zu verhelfen. Das politische Untersuchungsgefängnis in Moskau erlaubte den Häftlingen nicht, sich von zu Hause Sachen schicken zu lassen, gab aber auch keine Gefängniswäsche, keine Kleidung, keine Decke. In der Gefängniskantine konnte man lediglich Handtücher und Männerunterhemden, sogenannte ,, Trussiki" kaufen. Einige Häftlinge kauften für dieses geplante Kleid sechs Handtücher aus grobem, ungebleichtem russischen Leinen. Aber wie schneidet man ein Kleid zu, wenn man keine Schere hat? Auch dieses Problem wurde gelöst. Der Schnitt" wurde mit dem verkohlten Ende eines Streichholzes auf den Stoff gezeichnet, dann der Stoff längs der Zeichnung umgeschlagen, gefältelt und die so entstehende Kante mit einem Streichholz angezündet und einen Moment brennen gelassen. Und woher hatten wir den Faden zum Nähen? Den zog man aus allen Kleidern. Wenn einer im Besitz eines Trikothemdes war, so reichte es ihm nach einem halben Jahr Untersuchungshaft nur noch bis zum Nabel. Es wurde von unten her aufgeräufelt. So bekam man auch das Stopfgarn für die Strümpfe. Man verkürzte einfach die Strumpf­längen. Besonders begehrt waren farbige Fäden aus Pullovern und

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