aufgedunsen vor Hitze. An der gegenüberliegenden Wand lehnte eine Frau mit jungem Gesicht. Jedesmal nach dem Essen stöhnte sie gequält und erbrach sich würgend in irgendein Tuch. Ihr ausgemergelter Oberkörper war völlig nackt, und die schlaffen Brüste hingen bis auf den Bauch herunter. Ich dachte nur immer: Warum deckt sie sich nicht zu? Noch war es mir unbekannt, wie schnell die Frauen in der Haft jedes Gefühl für ihren Körper verlieren. Eine andere in schwarzer Seidentrikothose starrte trübe vor sich hin und zupfte ständig Haare aus dem Kinn. Da lag eine mit dem Kopf im Schoße der Nachbarin, die ihr fachkundig die Läuse absuchte. Manche schliefen den ganzen Tag und verpesteten die Luft. Eine Dicke mit aufgeregten Augen war ständig in Bewegung. Sie krabbelte mit ihrem gewaltigen Hintern über die Bretter von einer Gruppe zur anderen und dirigierte irgendeine geheimnisvolle Tätigkeit.
Dort, wo die Zellenwand einen Vorsprung hatte, war der Platz von Tasso. Meine Blicke retteten sich auf dieses schöne Gesicht. Sie hatte dunkle, strahlende Augen mit Augenbrauen wie Vogelflügel, eine energische, gebogene Nase und einen ausdrucksvollen Mund. Das Weiß ihrer Zähne war unübertrefflich. Aber das Schönste schienen mir ihre Bewegungen. Sie durfte als einzige auf den Brettern laufen, wenn sie zur Zellentür mußte, um mit dem Korpusnoj( Leiter eines Gefängniskorridors) oder den Aufseherinnen zu verhandeln. Sie rettete uns vor vielen Zellenstrafen durch ihr geschicktes Parlamentieren. Tasso verlor nie den Humor. Als wir uns nach einiger Zeit anfreundeten, begrüßte sie mich jeden Morgen, indem sie die Enden ihrer schwarzen Zöpfe unter die Nase klemmte wie einen Hängeschnurrbart und dabei ein Auge listig zukniff. Wir beide wußten, welchen Landsmann sie meinte. So konnte ihn nur eine Georgierin hassen.
Mein guter Geist in diesem undurchdringlichen Wirrwarr wurde Käthe Schulz. Eigentlich hieß sie Käthe Schmidt, aber die NKWD führte sie unter dem Namen ihres falschen Passes. Diese Methode wandte man bei ausländischen Emigranten gern an, weil dadurch ein Nachforschen Verwandter aus dem Ausland unmöglich wurde. Käthe war ein Berliner Arbeitermädchen. Mit 17 Jahren war sie Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes und später der KPD geworden. Nach der Ermordung Horst Wessels im Jahre 1931 hatte man sie verhaftet, als Mitglied derselben kommunistischen Straßenzelle, zu der auch der Mörder Horst Wessels gehört hatte. In dem darauffolgenden Prozeß wurde sie freigesprochen. Als aber im Jahre 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen und der Horst- Wessel - Prozeß wieder aufgenommen wurde, verhalf man Käthe Schulz zur Flucht aus Deutschland . Sie kam über Prag nach Moskau und begann als Stenotypistin in der OMS- Abteilung der Komintern ( Abteilung für internationale Verbindung) zu arbeiten. Im
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