Tasso Salpeter, eine Georgierin, war Starosta der Zelle 31. Sie begrüßte mich sehr freundlich: ,, Wo werden wir Sie nur unterbringen? Es ist zum Verzweifeln hier. Einige Tage müssen Sie es neben der ,, Parascha"( Abortkübel) aushalten, bis sich ein besserer Platz findet."
ganze
So lag ich dann neben der ,, Parascha", wie der Kübel im russischen Gefängnisjargon heißt. Parascha ist ein Diminuitiv von Praskowja, einem russischen Frauenvornamen. Meine Nachbarin war eine Epileptikerin, die man wegen ihrer ,, schlechten Führung" in diese Ecke verlegt hatte, und dann kamen eine Reihe Frauen, die weder Decke noch Mantel besaßen und die auch keinen gefunden hatten, der sie freundlich mit zudecken wollte. Denen war es am Fenster zu kalt, also mußten sie den Gestank ertragen. Um allen 110 Frauen Platz zu verschaffen, hatte man die 35 Betten heruntergeklappt und mit Brettern bedeckt, den sogenannten ,, Naris". Aber nicht nur über die Betten, auch über den Gang zwischen den Bettreihen waren Bretter gelegt, so daß die Fläche der Zelle einen zusammenhängenden Bretterboden darstellte. Freigelassen war nur ein kleines Stück des Mittelganges vorn an der Tür, wo ein Tisch mit vielen Fächern stand, in dem unsere Blechnäpfe und das Brot untergebracht wurden. Ganz vorn an der Zellentür, zu meinen Füßen, standen rechts und links je ein riesiger Kübel. Jedem Häftling kamen ungefähr 30 Zentimeter Platz zu. Auf dem Rücken zu schlafen war unmöglich, dazu reichte der Platz nicht aus, und wenn man sich nachts umwenden wollte, wenn die schmerzende Hüfte den Schlaf verscheuchte, mußte man erst seinen rechten und linken Nebenmann aufwecken, damit sich alle zu gleicher Zeit drehten. Die Zelle lag zu ebener Erde, und von den alten erfahrenen Moskauerinnen unter den Häftlingen hörte ich später, daß man an den Wänden noch die Stellen sehen könne, wo früher Ringe eingelassen gewesen waren für die Ketten der gefesselten Häftlinge in den Zeiten vor der Revolution. Aber eins hatten diese Häftlinge der Zarenzeit sicher vor uns voraus, nämlich mehr Platz zum Liegen und mir will scheinen noch manches andere.
Die ersten Tage in Zelle 31 waren wie ein Alptraum. Vor den Zellenfenstern hingen Kästen aus undurchsichtigem Glas. Es wurde niemals richtig Tag in diesem Raum. Zuerst kannst du die Menge nackter Frauen gar nicht unterscheiden. Und dann der Gestank! Jedesmal, wenn eine den Deckel der ,, Parascha" hob, mußte ich das Erbrechen zurückhalten. Und dabei sollst du essen und schlafen! Meine Nachbarin, die ein seltsam anziehendes Gesicht mit weit auseinanderstehenden Augen hatte, verhielt sich scheu und feindlich gegen mich und bekam gleich am ersten Tag, nach einem mir unverständlichen, zischenden Wortwechsel mit der links vor ihr Liegenden, einen Anfall. Sie stürzte von den Brettern herunter auf die Fliesen, gerade in die Pfütze neben der ,, Parascha". Die hundert Gesichter waren glänzend von Schweiß und
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